Es ist in diesen späteren Stadien der Arbeit von Nutzen, wenn man den Zusammenhang erräth und ihn dem Kranken mittheilt, ehe man ihn aufgedeckt hat. Hat man richtig errathen, so beschleunigt man den Verlauf der Analyse, aber auch mit einer unrichtigen Hypothese hilft man sich weiter, indem man den Kranken nöthigt, Partei zu nehmen, und ihm energische Ablehnungen entlockt, die ja ein sicheres Besserwissen verrathen.
Man überzeugt sich dabei mit Erstaunen, dass man nicht im Stande ist, dem Kranken über die Dinge, die er angeblich nicht weiss, etwas aufzudrängen oder die Ergebnisse der Analyse durch Erregung seiner Erwartung zu beeinflussen. Es ist mir kein einziges Mal gelungen, die Reproduction der Erinnerungen oder den Zusammenhang der Ereignisse durch meine Vorhersage zu verändern und zu fälschen, was sich ja endlich durch einen Widerspruch im Gefüge hätte verrathen müssen. Traf etwas so ein, wie ich es vorhergesagt, so war stets durch vielfache unverdächtige Reminiscenzen bezeugt, dass ich eben richtig gerathen hatte. Man braucht sich also nicht zu fürchten, vor dem Kranken irgend eine Meinung über den nächstkommenden Zusammenhang zu äussern; es schadet nichts.
Eine andere Beobachtung, die man jedesmal zu wiederholen Gelegenheit hat, bezieht sich auf die selbständigen Reproductionen des Kranken. Man kann behaupten, dass keine einzige Reminiscenz während einer solchen Analyse auftaucht, die nicht ihre Bedeutung hätte. Ein Dareinmengen beziehungsloser Erinnerungsbilder, die mit den wichtigen irgendwie associirt sind, kommt eigentlich gar nicht vor. Man darf eine nicht regelwidrige Ausnahme für solche Erinnerungen postuliren, die an sich unwichtig, doch als Schaltstücke unentbehrlich sind, indem die Association zwischen zwei beziehungsvollen Erinnerungen nur über sie geht. – Die Zeitdauer, während welcher eine Erinnerung im Engpass vor dem Bewusstsein des Patienten verweilt, steht, wie schon angeführt, in directer Beziehung zu deren Bedeutung. Ein Bild, das nicht verlöschen will, verlangt noch seine Würdigung, ein Gedanke, der sich nicht abthun lässt, will noch weiter verfolgt werden. Es kehrt auch nie eine Reminiscenz zum zweiten Mal wieder, wenn sie erledigt worden ist; ein Bild, das abgesprochen wurde, ist nicht wieder zu sehen. Geschieht dies doch, so darf man mit Bestimmtheit erwarten, dass das zweite Mal ein neuer Gedankeninhalt sich an das Bild, eine neue Folgerang an den Einfall knüpfen wird, d. h., dass
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_260.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)