die Absicht, ein höchst complicirtes und noch niemals dargestelltes Denkobject von verschiedenen Seiten her zu veranschaulichen, und darum erbitte ich mir die Freiheit, auch noch auf den folgenden Seiten in solcher, nicht einwandfreien Weise mit Vergleichen zu schalten.)
Wenn man nach vollendeter Erledigung das pathogene Material in seiner nun erkannten, complicirten, mehrdimensionalen Organisation einem Dritten zeigen könnte, würde dieser mit Recht die Frage aufwerfen: Wie kam ein solches Kameel durch das Nadelöhr? Man spricht nämlich nicht mit unrecht von einer „Enge des Bewusstseins“. Der Terminus gewinnt Sinn und Lebensfrische für den Arzt, der eine solche Analyse durchführt. Es kann immer nur eine einzelne Erinnerung in’s Ichbewusstsein eintreten; der Kranke, der mit der Durcharbeitung dieser einen beschäftigt ist, sieht nichts von dem, was nachdrängt, und vergisst an das, was bereits durchgedrungen ist. Stösst die Bewältigung dieser einen pathogenen Erinnerung auf Schwierigkeiten, wie z. B. wenn der Kranke mit dem Widerstande gegen sie nicht nachlässt, wenn er sie verdrängen oder verstümmeln will, so ist der Engpass gleichsam verlegt; die Arbeit stockt, es kann nichts anderes kommen, und die eine im Durchbruch befindliche Erinnerung bleibt vor dem Kranken stehen, bis er sie in die Weite des Ich’s aufgenommen hat. Die ganze räumlich ausgedehnte Masse des pathogenen Materials wird so durch eine enge Spalte durchgezogen, langt also, wie in Stücke oder Bänder zerlegt, im Bewusstsein an. Es ist Aufgabe des Psychotherapeuten, daraus die vermuthete Organisation wieder zusammenzusetzen. Wer noch nach Vergleichen gelüstet, der mag sich hier an ein Geduldspiel erinnern.
Steht man davor, eine solche Analyse zu beginnen, wo man eine derartige Organisation des pathogenen Materials erwarten darf, kann man sich folgende Ergebnisse der Erfahrung zu Nutze machen: Es ist ganz aussichtslos, directe zum Kern der pathogenen Organisation vorzudringen. Könnte man diesen selbst errathen, so würde der Kranke doch mit der ihm geschenkten Aufklärung nichts anzufangen wissen und durch sie psychisch nicht verändert werden.
Es bleibt nichts übrig, als sich zunächst an die Peripherie des pathogenen psychischen Gebildes zu halten. Man beginnt damit, den Kranken erzählen zu lassen, was er weiss und erinnert, wobei man bereits seine Aufmerksamkeit dirigirt und durch Anwendung der Druckprocedur leichtere Widerstände überwindet. Jedesmal, wenn man
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_256.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)