empfangen, von vorne herein ausserhalb des Ich verblieben ist. Es hat also keiner psychischen Kraft bedurft, sie von dem Ich abzuhalten, und es darf keinen Widerstand erwecken, wenn man sie mit Hilfe der somnambulen Geistesthätigkeit in das Ich einführt. Die Krankengeschichte der Anna O. zeigt auch wirklich nichts von einem solchen Widerstand.
Ich halte diesen Unterschied für so wesentlich, dass ich mich durch ihn gerne bestimmen lasse, an der Aufstellung der Hypnoidhysterie festzuhalten. Meiner eigenen Erfahrung ist merkwürdiger Weise keine echte Hypnoidhysterie begegnet; was ich in Angriff nahm, verwandelte sich in Abwehrhysterie. Nicht etwa, dass ich es niemals mit Symptomen zu thun gehabt hätte, die nachweisbar in abgesonderten Bewusstseinszuständen entstanden waren und darum von der Aufnahme in’s Ich ausgeschlossen bleiben mussten. Diess traf auch in meinen Fällen mitunter zu, aber dann konnte ich doch nachweisen, dass der sog. hypnoide Zustand seine Absonderung dem Umstand verdankte, dass in ihm eine vorher durch Abwehr abgespaltene psychische Gruppe zur Geltung kam. Kurz, ich kann den Verdacht nicht unterdrücken, dass Hypnoid- und Abwehrhysterie irgendwo an ihrer Wurzel zusammentreffen, und dass dabei die Abwehr das Primäre ist. Ich weiss aber nichts darüber.
Gleich unsicher ist derzeit mein Urtheil über die „Retentionshysterie“, bei welcher die therapeutische Arbeit gleichfalls ohne Widerstand erfolgen sollte. Ich habe einen Fall gehabt, den ich für eine typische Retentionshysterie gehalten habe; ich freute mich auf den leichten und sicheren Erfolg, aber dieser Erfolg blieb aus, so leicht auch wirklich die Arbeit war. Ich vermuthe daher, wiederum mit aller Zurückhaltung, die der Unwissenheit geziemt, dass auch bei der Retentionshysterie auf dem Grunde ein Stück Abwehr zu finden ist, welches den ganzen Vorgang in’s Hysterische gedrängt hat. Ob ich mit dieser Tendenz zur Ausdehnung des Abwehrbegriffes auf die gesammte Hysterie Gefahr laufe, der Einseitigkeit und dem Irrthum zu verfallen, werden ja hoffentlich neue Erfahrungen bald entscheiden.
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_251.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)