Zwangsvorstellungen. Ist einmal ein Bild aus der Erinnerung aufgetaucht, so kann man den Kranken sagen hören, dass es in dem Maass zerbröckele und undeutlich werde, wie er in seiner Schilderung desselben fortschreite. Der Kranke trägt es gleichsam ab, indem er es in Worte umsetzt. Man orientirt sich nun an dem Erinnerungsbild selbst, um die Richtung zu finden, nach welcher die Arbeit fortzusetzen ist. „Schauen Sie sich das Bild nochmals an. Ist es verschwunden? – Im Ganzen ja, aber dieses Detail sehe ich noch. – Dann hat diess noch etwas zu bedeuten. Sie werden entweder etwas Neues dazu sehen, oder es wird Ihnen bei diesem Rest etwas einfallen. – Wenn die Arbeit beendigt ist, zeigt sich das Gesichtsfeld wieder frei, man kann ein anderes Bild hervorlocken. Andere Male aber bleibt ein solches Bild hartnäckig vor dem inneren Auge des Kranken stehen, trotz seiner Beschreibung, und das ist für mich ein Zeichen, dass er mir noch etwas Wichtiges über das Thema des Bildes zu sagen hat. Sobald er diess vollzogen hat, schwindet das Bild, wie ein erlöster Geist zur Ruhe eingeht.
Es ist natürlich von hohem Werth für den Fortgang der Analyse, dass man dem Kranken gegenüber jedesmal Recht behalte, sonst hängt man ja davon ab, was er mitzutheilen für gut findet. Es ist darum tröstlich zu hören, dass die Procedur des Drückens eigentlich niemals fehlschlägt, von einem einzigen Fall abgesehen, den ich später zu würdigen habe, den ich aber sogleich durch die Bemerkung kennzeichnen kann, er entspreche einem besonderen Motiv zum Widerstande. Es kann freilich vorkommen, dass man die Procedur unter Verhältnissen anwendet, in denen sie nichts zu Tage fördern darf; man fragt z. B. nach der weiteren Aetiologie eines Symptoms, wenn dieselbe bereits abgeschlossen vorliegt, oder man forscht nach der psychischen Genealogie eines Symptoms, etwa eines Schmerzes, der in Wahrheit ein somatischer Schmerz war; in diesen Fällen behauptet der Kranke gleichfalls, es sei ihm nichts eingefallen, und befindet sich im Rechte. Man wird sich davor behüten, ihm Unrecht zu thun, wenn man es sich ganz allgemein zur Regel macht, während der Analyse die Miene des ruhig Daliegenden nicht aus dem Auge zu lassen. Man lernt dann ohne jede Schwierigkeit, die seelische Ruhe bei wirklichem Ausbleiben einer Reminiscenz von der Spannung und den Affectanzeichen zu unterscheiden, unter welchen der Kranke im Dienste der Abwehr die auftauchende Reminiscenz zu verleugnen sucht. Auf solchen Erfahrungen ruht übrigens auch die differentialdiagnostische Anwendung der Druckprocedur.
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_246.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)