aus, so dass sich der Lehrer für sehr befriedigt erklärt; andere Male, auf die leiseste Erregung hin, auch scheinbar ohne jeden Grund, tritt die schnürende Empfindung wieder ein, und die freie Stimmentfaltung ist behindert. Es war nicht schwer, in dieser belästigenden Empfindung die hysterische Conversion zu erkennen; ob thatsächlich eine Contractur in gewissen Muskeln der Stimmbänder eintrat, habe ich nicht feststellen lassen.[1] In der hypnotischen Analyse, die ich mit dem Mädchen unternahm, erfuhr ich Folgendes von ihren Schicksalen und damit von der Verursachung ihrer Beschwerden; Sie war, früh verwaist, von einer selbst kinderreichen Tante in's Haus genommen worden und wurde dadurch Theilnehmerin an einem höchst unglücklichen Familienleben. Der Mann dieser Tante, eine offenbar pathologische Persönlichkeit, misshandelte Frau und Kinder in rohester Weise und kränkte sie besonders durch die unverhohlene sexuelle Bevorzugung der im Haus befindlichen Dienst- und Kindermädchen, was umso anstössiger wurde, je mehr die Kinder heranwuchsen. Als die Tante starb, wurde Rosalia die Schützerin der verwaisten und vom Vater bedrängten Kinderschaar. Sie nahm ihre Pflichten ernst, focht alle Conflicte durch, zu denen sie diese Stellung führte, hatte aber dabei die grösste Mühe aufzuwenden, um die Aeusserungen ihres Hasses und ihrer Verachtung gegen den Onkel zu unterdrücken. Damals entstand in ihr die Empfindung des Schnürens im Halse; jedesmal, wenn sie eine Antwort schuldig bleiben musste, wenn sie sich gezwungen hatte, auf eine empörende Beschuldigung ruhig zu bleiben, fühlte sie das Kratzen in der Kehle, das Zusammenschnüren, das Versagen der Stimme, kurz alle die im Kehlkopf und Schlund localisirten Empfindungen, die sie jetzt im Singen störten. Es war begreiflich, dass sie nach der Möglichkeit suchte sich selbständig zu machen, um den Aufregungen und peinlichen Eindrücken zu entgehen, die jeder Tag im Hause des Onkels
- ↑ Ich habe einen anderen Fall beobachtet, in dem eine Contractur der Masseteren der Sängerin die Ausübung ihrer Kunst unmöglich machte. Die junge Frau war durch peinliche Erlebnisse in ihrer Familie veranlasst worden, sich zur Bühne zu wenden. Sie sang in Rom in grosser Erregung Probe, als sie plötzlich die Empfindung bekam, sie könne den geöffneten Mund nicht schliessen; sie fiel ohnmächtig zu Boden. Der geholte Arzt drückte die Kiefer gewaltsam zusammen; die Kranke aber blieb von da an unfähig, die Kiefer weiter als die Breite eines Fingers von einander zu entfernen, und musste den neugewählten Beruf aufgeben. Als sie mehrere Jahre später in meine Behandlung kam, waren die Ursachen jener Erregung offenbar längst abgethan, denn eine Massage in leichter Hypnose reichte hin, um ihr den Mund weit zu öffnen. Die Dame hat seither öffentlich gesungen.
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)