die Mutter, noch die Rathgeber in der Familie seien einer ehelichen Verbindung der Beiden sonderlich geneigt. Die Gesundheit des jungen Mannes sei keine feste und habe durch den Tod der geliebten Frau einen neuen Stoss erlitten; es sei auch gar nicht sicher, dass er seelisch soweit erholt sei, um eine neue Ehe einzugehen. Er halte sich wahrscheinlich darum so reservirt, vielleicht auch, weil er, seiner Annahme nicht sicher, nahe liegendes Gerede vermeiden wolle. Bei dieser Zurückhaltung von beiden Seiten dürfte wohl die Lösung, die sich Elisabeth ersehnte, missglücken.
Ich theilte dem Mädchen alles mit, was ich von der Mutter erfahren hatte, hatte die Genugthuung, ihr durch die Aufklärung jener Geldaffaire wohlzuthun, und muthete ihr andererseits zu, die Ungewissheit über die Zukunft, die nicht zu zerstreuen war, ruhig zu tragen. Jetzt aber drängte der vorgeschrittene Sommer dazu, der Behandlung ein Ende zu machen. Sie befand sich wieder wohler, von ihren Schmerzen war zwischen uns nicht mehr die Rede, seitdem wir uns mit der Ursache beschäftigten, auf welche sich die Schmerzen hatten zurückführen lassen. Wir hatten beide die Empfindung, fertig geworden zu sein, wenngleich ich mir sagte, dass das Abreagiren der verhaltenen Zärtlichkeit nicht gerade sehr vollständig gemacht worden war. Ich betrachtete sie als geheilt, verwies sie noch auf das selbstthätige Fortschreiten der Lösung, nachdem eine solche einmal angebahnt war, und sie widersprach mir nicht. Sie reiste mit ihrer Mutter ab, um die älteste Schwester und deren Familie im gemeinsamen Sommeraufenthalt zu treffen.
Ich habe noch kurz über den weiteren Verlauf der Krankheit bei Fräulein Elisabeth v. R. zu berichten. Einige Wochen nach unserem Abschied erhielt ich einen verzweifelten Brief der Mutter, der mir mittheilte, Elisabeth habe sich beim ersten Versuch, mit ihr von ihren Herzensangelegenheiten zu sprechen, in voller Empörung aufgelehnt und seither wieder heftige Schmerzen bekommen; sie sei aufgebracht gegen mich, weil ich ihr Geheimniss verletzt habe, zeige sich vollkommen unzugänglich, die Cur sei gründlich misslungen. Was nun zu thun wäre? Von mir wolle sie nichts wissen. Ich gab keine Antwort; es stand zu erwarten, dass sie noch einmal den Versuch machen würde, die Einmengung der Mutter abzuweisen und in ihre Verschlossenheit zurückzukehren, nachdem sie aus meiner Zucht entlassen war. Ich hatte aber eine Art von Sicherheit, es werde sich alles zurechtschütteln, meine Mühe sei nicht vergebens angewandt
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)