Die bei unserer Kranken vorhandenen Abulien (Willenshemmungen, Unfähigkeiten) gestatten noch weniger als die Phobien die Auffassung von psychischen Stigmen in Folge allgemein eingeengter Leistungsfähigkeit. Vielmehr macht die hypnotische Analyse des Falles ersichtlich, dass die Abulien hier durch einen zweifachen psychischen Mechanismus bedingt werden, der im Grunde wieder nur einer ist. Die Abulie ist entweder einfach die Folge einer Phobie, nämlich in allen den Fällen, in denen die Phobie sich an eine eigene Handlung knüpft anstatt an eine Erwartung (Ausgehen, Menschen aufsuchen; – der andere Fall, dass sich jemand einschleicht u. s. w.), und Ursache der Willenshemmung ist die mit dem Erfolg der Handlung verknüpfte Angst. Man thäte Unrecht daran, diese Art von Abulien neben den ihnen entsprechenden Phobien als besondere Symptome aufzuführen, nur muss man zugestehen, dass eine derartige Phobie bestehen kann, wenn sie nicht allzu hochgradig ist, ohne zur Abulie zu führen. Die andere Art der Abulien beruht auf der Existenz affectvoll betonter, ungelöster Associationen, die sich der Anknüpfung neuer Associationen, und insbesondere unverträglicher Art widersetzen. Das glänzendste Beispiel einer solchen Abulie bietet die Anorexie unserer Kranken. Sie isst nur so wenig, weil es ihr nicht schmeckt, und sie kann dem Essen keinen Geschmack abgewinnen, weil der Act des Essens bei ihr von Alters her mit Ekelerinnerungen verknüpt ist, deren Affectbetrag noch keine Verminderung erfahren ist. Es ist aber unmöglich, gleichzeitig mit Ekel und mit Lust zu essen. Die Verminderung des an den Mahlzeiten von früher her haftenden Ekels hat darum nicht stattgehabt, weil sie alle Male den Ekel unterdrücken musste, anstatt sich von ihm durch Reaction zu befreien; als Kind war sie aus Furcht vor Strafe gezwungen, mit Ekel die kalte Malzeit zu essen, und in reiferen Jahren verhinderte sie die Rücksicht auf die Brüder, die Affecte zu äussern, denen sie bei den gemeinsam genommenen Malzeiten unterlag.
Ich darf hier vielleicht an eine kleine Arbeit erinnern, in der ich versucht habe, eine psychologische Erklärung der hysterischen Lähmungen zu geben. Ich gelangte dort zur Annahme, die Ursache dieser Lähmungen liege in der Unzugänglichkeit des Vorstellungskreises etwa einer Extremität für neue Associationen; diese associative Unzugänglichkeit selbst rühre aber davon her, dass die Vorstellung des gelähmten Gliedes in die mit unerledigtem Affect behaftete Erinnerung des Traumas einbezogen sei. Ich führte aus den Beispielen des gewöhnlichen
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)