den sie im Winter in D. . . gehabt. Ein Kellner des Gasthofs, in dem sie wohnte, hatte sich in ihrem Zimmer versteckt; sie habe das Ding in der Dunkelheit für einen Paletot gehalten, hingegriffen, und da sei der Mann plötzlich „in die Höhe geschossen“. Ich nehme ihr dieses Erinnerungsbild ab, und wirklich stottert sie von da an in der Hypnose wie im Wachen kaum merklich. Ich weiss nicht mehr, was mich bewog, hier die Probe auf den Erfolg zu versuchen. Als ich am Abend wiederkam, fragte ich sie anscheinend ganz harmlos, wie ich es denn machen solle, um bei meinem Weggehen, wenn sie im Schlafe liege, die Thüre so zu verschliessen, dass sich niemand hereinschleichen könne. Zu meinem Erstaunen erschrak sie heftig, begann mit Zähneknirschen und Händereiben, deutete an, sie habe einen heftigen Schreck in dieser Art in D. . . gehabt, war aber nicht zu bewegen, die Geschichte zu erzählen. Ich merkte, dass sie dieselbe Geschichte meine, die sie vormittags in der Hypnose erzählt, und die ich doch verwischt zu haben meinte. In der nächsten Hypnose erzählte sie nun ausführlicher und wahrheitsgetreuer. Sie war in ihrer Erregung am Abend auf dem Gange hin und her gegangen, fand die Thür zum Zimmer ihrer Kammerfrau offen und wollte eintreten, um sich dort niederzusetzen. Die Kammerfrau vertrat ihr den Weg, sie liess sich aber nicht abhalten, trat dennoch ein und bemerkte dann jenes dunkle Ding an der Wand, das sich als ein Mann erwies. Offenbar war es das erotische Moment dieses kleinen Abenteuers gewesen, was sie zu einer ungetreuen Darstellung veranlasst hatte. Ich hatte aber erfahren, dass eine unvollständige Erzählung in der Hypnose keinen Heileffect hat, gewöhnte mich, eine Erzählung für unvollständig zu halten, wenn sie keinen Nutzen brachte, und lernte es allmählich den Kranken an der Miene abzusehen, ob sie mir nicht ein wesentliches Stück der Beichte verschwiegen hätten.
Die Arbeit, die ich diesmal mit ihr vorzunehmen hatte, bestand in der hypnotischen Erledigung der unangenehmen Eindrücke, die sie während der Cur ihrer Tochter und während des eigenen Aufenthaltes in jener Anstalt in sich aufgenommen hatte. Sie war voll unterdrückter Wuth gegen den Arzt, der sie genöthigt hatte, in der Hypnose K..r..ö..t..e zu buchstabiren, und nahm mir das Versprechen ab, dieses Wort ihr niemals zuzumuthen. Ich erlaubte mir hier einen suggestiven Scherz, den einzigen, übrigens ziemlich harmlosen Missbrauch der Hypnose, dessen ich mich bei dieser Patientin anzuklagen habe. Ich versicherte ihr, der Aufenthalt in ***thal würde ihr so sehr in die Ferne entrückt sein, dass sie sich nicht einmal auf den Namen
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_066.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)