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Seite:De Studien über Hysterie 064.jpg

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Das zuletzt beschriebene hysterische Delirium war auch die letzte erheblichere Störung im Befinden der Frau Emmy v. N. Da ich nicht selbständig nach Krankheitssymptomen und deren Begründung forschte, sondern zuwartete, bis sich etwas zeigte oder sie mir einen beängstigenden Gedanken eingestand, wurden die Hypnosen bald unergiebig und wurden von mir meistens dazu verwendet, ihr Lehren zu ertheilen, die in ihren Gedanken stets gegenwärtig bleiben und sie davor schützen sollten, zu Hause neuerdings in ähnliche Zustände zu verfallen. Ich stand damals völlig unter dem Banne des Bernheim’schen Buches über die Suggestion und erwartete mehr von solcher lehrhafter Beeinflussung, als ich heute erwarten würde. Das Befinden meiner Patientin hob sich in kurzer Zeit so sehr, dass sie versicherte, sich seit dem Tode ihres Mannes nicht ähnlich wohl gefühlt zu haben. Ich entliess sie nach im Ganzen 7wöchentlicher Behandlung in ihre Heimath an der Ostsee.

Nicht ich, sondern Dr. Breuer erhielt nach etwa 7 Monaten Nachricht von ihr. Ihr Wohlbefinden hatte mehrere Monate angehalten und war dann einer neuerlichen psychischen Erschütterung erlegen. Ihre älteste Tochter, die bereits während des ersten Aufenthaltes in Wien es der Mutter an Genickkrämpfen und leichteren hysterischen Zuständen gleich gethan hatte, die vor Allem an Schmerzen beim Gehen in Folge einer Retroflexio uteri litt, war auf meinen Rath von Dr. N. . ., einem unserer angesehensten Gynaekologen, behandelt worden, der ihr den Uterus durch Massage aufrichtete, so dass sie mehrere Monate frei von Beschwerden blieb. Als sich diese zu Hause wieder einstellten, wandte sich die Mutter an den Gynaekologen der nächsten Universitätsstadt, welcher dem Mädchen eine combinirte locale und allgemeine Therapie angedeihen liess, die aber zu einer schweren nervösen Erkrankung des Kindes führte. Wahrscheinlich zeigte sich hierin bereits die pathologische Veranlagung des damals 17jährigen Mädchens, die ein Jahr später in einer Charakterveränderung manifest wurde. Die Mutter, die das Kind mit ihrem gewohnten Gemische von Ergebung und Misstrauen den Aerzten überlassen hatte, machte sich nach dem unglücklichen Ausgang dieser Cur die allerheftigsten Vorwürfe, gelangte auf einem Gedankenwege, dem ich nicht nachgespürt habe, zum Schluss, dass wir beide, Dr. N. . . und ich, Schuld an der Erkrankung des Kindes trügen, weil wir ihr das schwere Leiden der Kleinen als leicht dargestellt, hob gewissermaassen durch einen Willensact die Wirkung meiner Behandlung auf und verfiel alsbald wieder in dieselben

Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_064.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)