krank werden oder nicht am Leben bleiben, ihr Bruder, der jetzt auf der Hochzeitsreise sei, könnte einen Unfall erleiden, seine Frau sterben, weil alle Geschwister so kurz verheirathet waren. Andere Befürchtungen sind ihr nicht zu entlocken. Ich verweise ihr das Bedürfnis, sich zu ängstigen, wo kein Grund vorliegt. Sie verspricht es zu unterlassen, „weil Sie es verlangen“. Weitere Suggestionen für die Schmerzen, das Bein u. s. w.
16. Mai. Sie hat gut geschlafen, klagt noch über Schmerzen im Gesicht, Arm, Beinen, ist sehr heiter. Die Hypnose fällt ganz unergiebig aus. Faradische Pinselung des anästhetischen Beines.
Abends. Sie erschrickt gleich bei meinem Eintreten. – „Gut, dass Sie kommen. Ich bin so erschrocken.“ – Dabei alle Zeichen des Grausens, Stottern, Tick. Ich lasse mir zuerst im Wachen erzählen, was es gegeben hat, wobei sie das Entsetzen mit gekrümmten Fingern und vorgestreckten Händen vortrefflich darstellt. – Im Garten ist eine ungeheuere Maus plötzlich über ihre Hand gehuscht und dann plötzlich verschwunden, es huschte überhaupt beständig hin und her (Illusion spielender Schatten?). Auf den Bäumen sassen lauter Mäuse. – Hören Sie nicht die Pferde im Circus stampfen? – Daneben stöhnt ein Herr, ich glaube, er hat Schmerzen nach der Operation. – Bin ich denn auf Rügen, habe ich dort so einen Ofen gehabt? – Sie ist auch verworren unter der Fülle von Gedanken, die sich in ihr kreuzen, und in dem Bemühen, die Gegenwart herauszufinden. Auf Fragen nach gegenwärtigen Dingen, z. B. ob die Töchter heute da waren, weiss sie nicht zu antworten.
Ich versuche die Entwirrung dieses Zustandes in der Hypnose.
Hypnose. Wovor haben Sie sich denn geängstigt? – Sie wiederholt die Mäusegeschichte mit allen Zeichen des Entsetzens; auch sei, als sie über die Treppe ging, ein scheussliches Thier da gelegen und gleich verschwunden. Ich erkläre das für Hallucinationen, verweise ihr die Furcht vor Mäusen, die komme nur bei Trinkern vor (die sie sehr verabscheut). Ich erzähle ihr die Geschichte vom Bischof Hatto, die sie auch kennt und mit ärgstem Grausen anhört. – „Wie kommen Sie denn auf den Circus?“ – Sie hört deutlich aus der Nähe, wie die Pferde in den Ställen stampfen und sich dabei im Halfter verwickeln, wodurch sie sich beschädigen können. Der Johann pflege dann immer hinauszugehen und sie loszubinden. – Ich bestreite ihr die Nähe des Stalles und das Stöhnen des Nachbars. Ob sie wisse, wo sie ist? – Sie weiss es, aber sie glaubte früher, auf Rügen zu sein. – Wie
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_060.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)