beschwichtigenden Worten, die ich an ihre Erzählung knüpfe, erklärt sie sich für erleichtert.
13. Mai. Sie hat wieder wenig geschlafen vor Magenschmerzen, gestern kein Nachtmahl genommen, klagt auch über Schmerzen im rechten Arm. Ihre Stimmung ist aber gut, sie ist heiter und behandelt mich seit gestern mit besonderer Auszeichnung. Sie fragt mich nach meinem Urtheil über die verschiedensten Dinge, die ihr wichtig erscheinen, und geräth in eine ganz unverhältnissmässige Erregung, wenn ich z. B. nach den Tüchern, die bei der Massage benöthigt werden, suchen muss und dgl. Schnalzen und Gesichtstick treten häufig auf.
Hypnose: Gestern abends ist ihr plötzlich der Grund eingefallen, weshalb kleine Thiere, die sie sehe, so in’s Riesige wachsen. Das sei ihr das erste Mal in einer Theatervorstellung in D.. geschehen, wo eine riesig grosse Eidechse auf der Bühne war. Diese Erinnerung habe sie gestern auch so sehr gepeinigt.[1]
Dass das Schnalzen wiedergekehrt, rühre daher, dass sie gestern Unterleibsschmerzen gehabt und sich bemüht dieselben nicht durch Seufzer zu verrathen. Von dem eigentlichen Anlass des Schnalzens (vgl. p. 46) weiss sie nichts. Sie erinnert sich auch, dass ich ihr die Aufgabe gestellt herauszufinden, woher die Magenschmerzen stammen. Sie wisse es aber nicht, bittet mich, ihr zu helfen. Ich meine, ob sie sich nicht einmal nach grossen Aufregungen zum Essen genöthigt. Das trifft zu. Nach dem Tode ihres Mannes entbehrte sie eine lange Zeit hindurch jeder Esslust, ass nur aus Pflichtgefühl, und damals begannen wirklich die Magenschmerzen. – Ich nehme jetzt die Magenschmerzen durch einige Striche über das Epigastrium weg. Sie beginnt dann spontan von dem zu sprechen, was sie am meisten afficirt hat: „Ich habe gesagt, dass ich die Kleine nicht geliebt habe. Ich muss aber hinzufügen, dass man es an meinem Benehmen nicht merken konnte. Ich habe alles gethan, was nothwendig war. Ich mache mir jetzt noch Vorwürfe, dass ich die Aeltere lieber habe.“
- ↑ Das visuelle Erinnerungszeichen der grossen Eidechse war zu dieser Bedeutung gewiss nur durch das zeitliche Zusammentreffen mit einem grossen Affect gelangt, dem sie während jener Theatervorstellung unterlegen sein muss. Ich habe mich aber in der Therapie dieser Kranken, wie schon eingestanden, häufig mit den oberflächlichsten Ermittlungen begnügt und auch in diesem Falle nicht weiter nachgeforscht. – Man wird übrigens an die hysterische Makropsie erinnert. Frau Emmy war hochgradig kurzsichtig und astigmatisch, und ihre Hallucinationen mochten oft durch die Undeutlichkeit ihrer Gesichtswahrnehmungen provocirt worden sein.
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)