Psychose gewann einen sehr merkwürdigen Ausdruck; als Patientin nach Abschluss der hysterischen Phänomene in einer vorübergehenden Depression war, brachte sie unter andern kindischen Befürchtungen und Selbstanklagen auch die vor, sie sei gar nicht krank, und alles sei nur simulirt gewesen. Aehnliches ist bekanntlich schon mehrfach vorgekommen.
Wenn nach Ablauf der Krankheit die beiden Bewusstseinszustände wieder in einen zusammengeflossen sind, sehen sich die Patienten beim Rückblick als die eine ungetheilte Persönlichkeit, die von all dem Unsinn gewusst hat, und meinen, sie hätten ihn hindern können, wenn sie gewollt hätten, also hätten sie den Unfug absichtlich verübt. – Diese Persistenz normalen Denkens während des zweiten Zustandes dürfte übrigens quantitativ enorm geschwankt und grossentheils auch nicht bestanden haben.
Die wunderbare Thatsache, dass vom Beginn bis zum Abschluss der Erkrankung alle aus dem zweiten Zustand stammenden Reize und ihre Folgen durch das Aussprechen in der Hypnose dauernd beseitigt wurden, habe ich bereits geschildert und dem nichts hinzuzusetzen, als die Versicherung, dass es nicht etwa meine Erfindung war, die ich der Patientin suggerirt hätte; sondern ich war auf’s höchste davon überrascht, und erst als eine Reihe spontaner Erledigungen erfolgt waren, entwickelte sich mir daraus eine therapeutische Technik.
Einige Worte verdient noch die schliessliche Abheilung der Hysterie. Sie erfolgte in der geschilderten Weise unter namhafter Beunruhigung der Kranken und Verschlechterung ihres psychischen Zustandes. Man hatte durchaus den Eindruck, es sei die Menge von Producten des zweiten Zustandes, die geschlummert haben, nun ins Bewusstsein drängen; erinnert werden, wenn auch wieder zunächst in der „condition seconde“, aber den normalen Zustand belasten und beunruhigen. Es wird in Betracht zu ziehen sein, ob nicht auch in andern Fällen eine Psychose, mit welcher eine chronische Hysterie abschliesst, denselben Ursprung hat.
Am 1. Mai 1889 wurde ich der Arzt einer etwa 40jährigen Dame, deren Leiden wie deren Persönlichkeit mir soviel Interesse einflössten, dass ich ihr einen grossen Theil meiner Zeit widmete und mir ihre Herstellung
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Leipzig und Wien: Franz Deuticke, 1895, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_037.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)