dass die Erinnerung an das wirksame psychische Trauma nicht im normalen Gedächtniss des Kranken, sondern im Gedächtniss des Hypnotisirten zu finden ist. Je mehr wir uns nun mit diesen Phänomenen beschäftigten, desto sicherer wurde unsere Ueberzeugung, jene Spaltung des Bewusstseins, die bei den bekannten classischen Fällen als double conscience so auffällig ist, bestehe in rudimentärer Weise bei jeder Hysterie, die Neigung zu dieser Dissociation und damit zum Auftreten abnormer Bewusstseinszustände, die wir als „hypnoide“ zusammenfassen wollen, sei das Grundphänomen dieser Neurose. Wir treffen in dieser Anschauung mit Binet und den beiden JANET zusammen, über deren höchst merkwürdige Befunde bei Anästhetischen uns übrigens die Erfahrung mangelt.
Wir möchten also dem oft ausgesprochenen Satz: „Die Hypnose ist arteficielle Hysterie“ einen anderen an die Seite stellen: Grundlage und Bedingung der Hysterie ist die Existenz von hypnoidon Zuständen. Diese hypnoiden Zustände stimmen bei aller Verschiedenheit unter einander und mit der Hypnose in dem einen Punkte überein, dass die in ihnen auftauchenden Vorstellungen sehr intensiv, aber von dem Associativverkehr mit dem übrigen Bewusstseinsinhalt abgesperrt sind. Unter einander sind diese hypnoiden Zustände associirbar, und deren Vorstellungsinhalt mag auf diesem Wege verschieden hohe Grade von psychischer Organisation erreichen. Im Uebrigen dürfte ja die Natur dieser Zustände und der Grad ihrer Abschliessung von den übrigen Bewusstseinsvorgängen in ähnlicher Weise variiren, wie wir es bei der Hypnose sehen, die sich von leichter Somnolenz bis zum Somnambulismus, von der vollen Erinnerung bis zur absoluten Amnesie erstreckt.
Bestehen solche hypnoide Zustände schon vor der manifesten Erkrankung, so geben sie den Boden ab, auf welchem der Affect die pathogene Erinnerung mit ihren somatischen Folgeerscheinungen ansiedelt. Dies Verhalten entspricht der disponirten Hysterie. Es ergibt sich aber aus unseren Beobachtungen, dass ein schweres Trauma (wie das der traumatischen Neurose), eine mühevolle Unterdrückung (etwa des Sexualaffectes) auch bei dem sonst freien Menschen eine Abspaltung von Vorstellungsgruppen bewerkstelligen kann, und dies wäre der Mechanismus der psychisch acquirirten Hysterie. Zwischen den Extremen dieser beiden Formen muss man eine Reihe gelten lassen, innerhalb welcher die Leichtigkeit der Dissociation bei dem
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Leipzig und Wien: Franz Deuticke, 1895, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)