befindet, ihm nichts schadet, dem Mann aber tausendfach.“ „Hier stößt du auf eine Gegenmeinung,“ sagte der Geistliche. „Manche sagen nämlich, daß die Geschichte niemandem ein Recht gibt, über den Türhüter zu urteilen. Wie er uns auch erscheinen mag, so ist er doch ein Diener des Gesetzes, also zum Gesetz gehörig, also dem menschlichen Urteil entrückt. Man darf dann auch nicht glauben, daß der Türhüter dem Manne untergeordnet ist. Durch seinen Dienst auch nur an den Eingang des Gesetzes gebunden zu sein, ist unvergleichlich mehr als frei in der Welt zu leben. Der Mann kommt erst zum Gesetz, der Türhüter ist schon dort. Er ist vom Gesetz zum Dienst bestellt, an seiner Würdigkeit zu zweifeln, hieße am Gesetze zweifeln.“ „Mit dieser Meinung stimme ich nicht überein,“ sagte K. kopfschüttelnd, „denn wenn man sich ihr anschließt, muß man alles, was der Türhüter sagt, für wahr halten. Daß das aber nicht möglich ist, hast du ja selbst ausführlich begründet.“ „Nein,“ sagte der Geistliche, „man muß nicht alles für wahr halten, man muß es nur für notwendig halten.“ „Trübselige Meinung,“ sagte K. „Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.“
Franz Kafka: Der Prozess. Berlin: Verlag die Schmiede, 1925, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kafka_Proze%C3%9F_388.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2018)