aus, die allerdings von Herablassung nicht frei ist. Jedenfalls schließt sich so die Gestalt des Türhüters anders ab, als du es glaubst.“ „Du kennst die Geschichte genauer als ich und längere Zeit,“ sagte K. Sie schwiegen ein Weilchen. Dann sagte K.: „Du glaubst also, der Mann wurde nicht getäuscht?“ „Mißverstehe mich nicht,“ sagte der Geistliche, „ich zeige dir nur die Meinungen, die darüber bestehn. Du mußt nicht zuviel auf Meinungen achten. Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber. In diesem Falle gibt es sogar eine Meinung, nach welcher gerade der Türhüter der Getäuschte ist.“ „Das ist eine weitgehende Meinung,“ sagte K. „Wie wird sie begründet?“ „Die Begründung,“ antwortete der Geistliche, „geht von der Einfalt des Türhüters aus. Man sagt, daß er das Innere des Gesetzes nicht kennt, sondern nur den Weg, den er vor dem Eingang immer wieder abgehn muß. Die Vorstellungen, die er von dem Innern hat, werden für kindlich gehalten und man nimmt an, daß er das, wovor er dem Manne Furcht machen will, selbst fürchtet. Ja, er fürchtet es mehr als der Mann,
Franz Kafka: Der Prozess. Berlin: Verlag die Schmiede, 1925, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kafka_Proze%C3%9F_383.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2018)