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Seite:De Flüssige Kristalle Lehmann 11.jpg

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im Momente der Entstehung einen weichen embryonalen Zustand und übe auf entfernte Partikelchen anziehende Kräfte aus.

     Das stand mit der Theorie der Aggregatzustände und den Theorien der Polymorphie und Amorphie in schroffem Widerspruch. Nach den letzteren sollte das Rotwerden von gelbem Quecksilberjodid beim Ritzen bedingt sein durch Störungen des Raumgitters der Moleküle und Eisen sollte durch Schmieden seine Raumgitterstruktur völlig einbüßen, amorph werden, und damit seinen scharfen Schmelzpunkt verlieren. Plastisch weiche Kristalle mit konstanten Eigenschaften waren undenkbar.

     Eine auf Veranlassung des Mineralogen P. v. Groth vorgenommene Nachprüfung der Vogelsangschen Beobachtungen[1] ergab, daß dieselbe zwar richtig, ihre Deutung aber irrig sei. Weiche embryonale Kristalle wurden nicht aufgefunden, auch keine Anziehungskräfte. Gleichzeitig ergaben sich aber schwere Bedenken gegen die genannten Theorien. Ein Bleistab, obschon kristallinisch, läßt sich biegen ohne Änderung seiner Eigenschaften; auch ausschmieden ohne Änderung seines Schmelzpunkts. Ebenso eine Stange des wachsartig weichen, regulär kristallinischen gelben Phosphors. Somit wurde nötig, auch jene Theorien nachzuprüfen.

     Ein besonders geeignetes Material wurde in dem Ammoniumnitrat gefunden.[2] Dasselbe besitzt fünf feste Modifikationen, welche bei ganz bestimmten Temperaturen (-16°, 32,4°, 82,8° und 125,6°) im einen und entgegengesetzten Sinne sich ineinander umwandeln, so daß also nach der Theorie der Polymorphie das Raumgitter der Moleküle schon gegen geringförmige Änderung der Wärmebewegung außerordentlich empfindlich sein müßte. Die Änderung der optischen Eigenschaften läßt sich leicht unter Beobachtung mittelst des Kristallisationsmikroskop[3] zwischen gekreuzten Nicols verfolgen, ebenso die Änderung der Löslichkeit, denn unbeständige Kristalle werden von beständigen „aufgezehrt“, weil sie sich zu einer in bezug auf letztere übersättigten Lösung auflösen.

     Wenn also Verbiegung der Kristalle, wie zu erwarten, ebenfalls überhaupt eine Änderung der Eigenschaften hervorbrachte, mußte diese leicht festzustellen sein. Auch in solcher Hinsicht erwies sich


  1. O. Lehmann, Zeitschr. f. Kristallogr. 1 (1877), 433.
  2. O. Lehmann, Zeitschr. f. Kristallogr. 1 (1877), 110; Ann. d. Phys. 21 (1906), 181.
  3. O. Lehmann, Das Kristallisationsmikroskop, Braunschweig 1910.