weiss er wieder zu verwechseln und gelangt zu einem ganz unerwarteten Resultate, wenn er schliesslich von Leuten spricht, die Einem begegnen, und so durch ein Versehen das Richtige findet. Anlässlich des Sonnenthal-Jubiläums im Vorjahre hat er, der Bedeutung des Gefeierten entsprechend, mehrere falsche Casusse gebracht. Er erzählte damals, „die vierzig Jahre, die der Künstler dem Burgtheater treulich gedient“, hätten „ihm zum Repräsentanten dieser geliebten Bühne gemacht“, man habe Sonnenthal „zu verstehen geben wollen, dass man ihm noch immer gerne in seinen jugendlichen Rollen zu sehen wünsche“, – woran er die allgemeine Bemerkung knüpfte, der Schauspieler müsse seine Rolle leben, er müsse „in sie aufgehen“. Wo es die Besprechung von dramatischen Anfängern galt, zeigte er sich stets nachsichtig; ein Tadel, erklärte er, würde „Einem nur au niveau mit dem Dilettanten setzen“. Als die Zeitung, bei der er thätig ist, einst die telegraphische Nachricht brachte, „die serbisch-montenegrinische Verbindung mitsammt des daranhängenden Heirathsgedankens“ stehe in Frage, liess man sich damals vielfach zu der Meinung verleiten, dass er auch die Depeschen einrichte, was einer entschiedenen Ueberschätzung seines Wirkungskreises gleichkam, da das Ressort unseres Freundes ausschliesslich die Verwechslung des Dativs mit dem Accusativ, nie mit dem Genitiv, und auch diese nur im Theater- und Kunsttheile, umfasst.
Kein Mensch wird ernstlich behaupten, dass solche und ähnliche grammatikalische Eigenheiten einem in der literarischen Carrière behindern können. Vollends durch die Prätention, mit die er seine Seichtigkeiten vorbringt, vermag ein Schriftsteller jederzeit auf dem Leser zu wirken.
Was nun über den literarischen Rahmen hinausreicht, geht niemandem etwas an. Einige wollen sich zu den von ihm vertretenen Ansichten nicht bekennen; dafür gibt es wieder zahlreiche, die – gläubiger sind. Dies bestärkt ihn in seiner Zuversicht und gibt ihm Muth zu neuen Thaten. Die Bühnenerfolge seiner Freunde haben ihn berauscht, jetzt heisst das Ziel seines ganzen Strebens: Aufgeführtwerden!, und schon sehen wir ihn einen kurzen Seitenweg hinter die Coulissen des Burgtheaters einschlagen....
Und nun von ihm, der an dieser Stelle eine unerwartete Bevorzugung erfahren, hinweg zu andern Tischgenossen, die schon warten und sich über Parteilichkeit der Bedienung beklagen. Der bleiche Dichter des athenischen Cassenstückes ist bereits ungeduldig,
Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_15.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)