auch er wird sich durchsetzen, und in gerechter Würdigung seiner Verdienste wird es von ihm einmal heissen:
„Er war ein Dichter, der sich nicht nach der Schablone anzog, eine eigenartige Begabung, die sich noch in der durchaus selbstständigen Form der Stiefletten äusserte. Dieser sensitiven Natur ist ein falscher, nicht am Hemd angenähter Kragen stets stimmungswidrig gewesen. Seiner scharfen Beobachtungsgabe, die noch durch ein feingeschliffenes Monocle verstärkt war, entging kein Toilettefehler, und die Empfindungen, die in ihm eine chike Cravatte hervorzurufen wusste, vermochte ihm ein Taschentuch, das zu weit aus der Rocktasche heraushing, sogleich wieder zu zerstören. Die intensivsten Stimmungen, die originellsten Gedanken, welche Anderen zu literarischen Erfolgen verholfen hätten, er hatte sie in seinen schönen Gürteln angelegt. Dieser Dichter war eine Individualität. Gott schütze uns vor seinen Epigonen!“
Man sieht, es ist nicht immer nur das Fachinteresse, auf welches Gäste des Literatur-Cafés rechnen können, einige tragen ja doch auch eine allgemein menschliche Komik zur Schau. Man verzeihe, dass sie unbedeutend sind, und man wird sich ihrer Wirksamkeit freuen. Der kleinste Streber, der in dem Kampfe um das Kaffeehaus-Dasein sich durchsetzen will und nach einer festen Position an dem Tische der fertigen Literaten ringt, darf nicht übersehen werden. Die Entwicklung werdender Talentlosigkeiten gibt eine Fülle von Beobachtungen an die Hand, und pikant ist es, durch ein Kaffeehausfenster zuzusehen, wie sich heute der Neuling durch den gestern gemachten Mann lancirt. – Da fällt zunächst ein Schriftsteller auf, der sich aus schüchternen Anfängen zum Freunde des Burgtheaterautors emporgerungen hat. Sechs Uhr ist es, also Zeit, dass er auf dem Plan erscheine. Ein Parvenu der Gesten, der seinen literarischen Tischgenossen Alles abgeguckt hat und ihnen die Kenntniss der wichtigsten Posen verdankt. Haben es die Andern in der Unnatürlichkeit bereits zu einiger Routine gebracht, ihm sieht man stets noch die Mühe an, die ihn seine Nervosität kostet. Immerhin hat er sich heute doch schon glücklich drei Nerven zusammengescharrt, die ihm die Ausübung einer
Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_12.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)