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Seite:De Die demolirte Literatur Kraus 07.jpg

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Art, fleissig in unserer lieben Stadt spazieren sehen, ganz wie Vater Horaz, behaglich schlendernd, Schwänke im Sinn, ohne Plan.“

Ueber den Verkehr mit seinen Schülern ist bekannt, dass der Herr aus Linz sich jederzeit mit Selbstentäusserung für sie eingesetzt hat. Ohne ihn wäre manche junge Talentlosigkeit frühzeitig zugrunde gegangen und vergessen worden. Es sind nicht Wenige, die sich rühmen können, von ihm entdeckt zu sein. Sie tragen das unverlöschliche Brandmal seiner Prophezeiung, Europa werde in vier Wochen von ihnen sprechen. „Wie ich Europa kenne“ - denn, sagte er einmal, „Europa zwischen Wolga und Loire hat kein Geheimniss vor mir“. Nun schien es aber selbst in dieser bescheidenen Einschränkung doch ein Geheimniss vor ihm zu haben. Es wollte sich, selbst als man den Termin der vier Wochen erheblich prolongirt hatte, zu einer Aeusserung über die im Café Griensteidl gemachten Entdeckungen nicht bewegen lassen. Aber vielleicht hat gerade der Umstand, dass sie nach so lärmender Inscenirung unbekannt blieben, diesen jüngsten Dichtern einen Namen gemacht.

Eine der zartesten Blüthen der Decadence sprosste dem Café Griensteidl in einem jungen Freiherrn, der, wie man erzählte, seine Manierirtheit bis auf die Kreuzzüge zurückleitet. Die Art des jungen Mannes, der sich einst zufällig in das Kaffeehaus verirrte, gefiel dem Herrn aus Linz. Als jener sich vollends zu der enthusiastischen Bemerkung hinreissen liess: „Der Goethe is ganz g’scheit“, da fühlte dieser: hier lag eine Fülle von Manierirtheit, die der Literatur nicht verloren gehen durfte. So ward in dem Jüngling das Bewusstsein seiner Sensitivität geweckt, welches ausgereicht hätte, ihn zu productivem Schaffen anzuregen. Dazu kam eine mit Kalksburg übertünchte Phantasie, und als das Product jener geistigen Beschränktheit, welche, von den sich an das Wort „wienerisch“ knüpfenden Vorstellungen ausgefüllt, unter dem Namen: reines Künstlerthum geläufig ist, entstand eine Novelle, „Der Kindergarten der Unkenntniss“.

Kein Wunder, dass sie dem Entdecker gefiel. Er stellte den Autor neben Goethe, den neuerlich zu feiern er Gelegenheit fand, und freute sich, dass ihm das Verständniss für den ihm unbekannten Meister aus der Ueberschätzung des ihm bekannten Dilettanten so schön aufgegangen war. Goethe hatte die Bausteine für einen jungen Ruhm und die Phraseologie einer neuen Kunst für das

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_07.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)