seichte Impressionismus, dem sich dieser kritische Bummler überliess, berührte anheimelnd; der Mangel an Humor, der eine seltene Standpunktlosigkeit verkleidete, aber doch discret durchblicken liess, gefiel, der Tadel, der kein zielbewusster Angriff, sondern vages Anrempeln war. Man klatschte Beifall, wenn er in seiner Weise Protest gegen den guten Geschmack erhob und an das dionysische Bedürfniss des Studenten erinnerte, Gewölberollläden mit dem Spazierstocke zu streifen. Dermassen hat er oft sich ausgelebt und die Wachleute der öffentlichen Literaturordnung geuzt.
Sturm und Drang wurden eines Tages von weimarischer Vornehmheit abgelöst. Die Zeit der Reife brach für ihn an, blasirte Behaglichkeit trug seine Worte, und aus den Weisungen, die er von seiner Höhe an die Jugend des Landes ergehen liess, sprach „schöne Güte“. Aber sogleich fasste dieselbe Jugend den Entschluss, ihm nachzureifen, die jüngsten sprachen von den „jungen Künstlern“, und als eines Tages das Erstlingswerk eines Neunzehnjährigen erschienen war, rief ein zwanzigjähriger Gönner aus: „Es ist mir nicht unlieb, dass die jungen Leute jetzt ein bischen emporkommen!“ Auch jene Menge von Kennern, welche die Posen erst aus zweiter Hand haben und auf die Affectationen subabonnirt sind, bekannte sich jetzt zur olympischen Weltanschauung, und das ruhige Künstlerauge, mit dem einige reine Künstler über ökonomische Thatsachen hinwegsahen, verrieth nur zu deutlich die Goethe-Naturen. Kurz, Alles, was im Café Griensteidl die Zeche schuldig bleibt, war jetzt abgeklärt. Wer nicht eigentlich zur Literatur gehörte, aber den Gesprächen lauschen und Stichworte bringen durfte, begann sich als Eckermann zu fühlen. Der Führer aber, der so that, als ob Weimar und nicht Urfahr die Vorstadt von Linz wäre, weitete seinen Blick immer mehr und wurde so vielseitig, dass man allgemein befürchtete, er werde sich am Ende noch mit Farbenlehre und Optik beschäftigen. Denn nicht zufrieden damit, eine ungefähre Kenntniss des Theaters zu besitzen, fing er jetzt an, bildende Kunst misszuverstehen, ja abstract philosophische Themen eingehender zu verflachen. Für den wohlwollenden Ton, in welchem dieser erste Kenner zu seiner Menge sprach, sind die Worte charakteristisch, die er unlängst in einer Abhandlung über den Werth körperlicher Uebungen geschrieben hat: „… und so kann man mich jetzt, gegen meine sonst lieber sitzende und meditativ herumliegende
Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_06.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)