für Gefrorenes und Melange, es machte sich die gebieterische Forderung nach inneren Erlebnissen geltend, so dass die Einführung des Absynths als eines auf die Nerven wirkenden Getränkes nothwendig wurde. Sollte die heimische Literatur aus Paris und Deutschland ihre Anregungen erhalten, so musste das Kaffeehaus sich die Einrichtungen von Tortoni und Kaiserhof zum Muster nehmen.
Bald war man mit dem consequenten Realismus fertig, und Griensteidl stand im Zeichen des Symbolismus. „Heimliche Nerven!“ lautete jetzt die Parole, man fing an, „Seelenstände“ zu beobachten und wollte der gemeinen Deutlichkeit der Dinge entfliehen. Eines der wichtigsten Schlagworte aber war „Das Leben“, und allnächtlich kam man zusammen, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen oder, wenn’s hoch ging, das Leben zu deuten.
Die ganze Literaturbewegung einzuleiten, die zahlreichen schwierigen Ueberwindungen vorzunehmen, nicht zuletzt, dem Kaffeehausleben den Stempel einer Persönlichkeit aufzudrücken, war ein Herr aus Linz berufen worden, dem es in der That bald gelang, einen entscheidenden Einfluss auf die Jugend zu gewinnen und eine dichte Schaar von Anhängern um sich zu versammeln. Eine Linzer Gewohnheit, Genialität durch eine in die Stirne baumelnde Haarlocke anzudeuten, fand sogleich begeisterte Nachahmer, – die Modernen wollten es betont wissen, dass ihnen der Zopf nicht hinten hing. Alsbald verbot der verwegene Sucher neuer Sensationen aus Linz seinen Jüngern, von dem „Kaiserfleisch des Naturalismus“ zu essen, empfahl ihnen dafür die „gebackenen Ducaten des Symbolismus“ und wusste sich durch derlei zweckmässige Einführungen in seiner Position als erster Stammgast zu behaupten. Seine Schreibweise wurde von der literarischen Jugend spielend erlernt. Den jüngsten Kritikern öffnete er die Spalten seines neugegründeten Blattes, welches allwöchentlich den Bahnbrecher und seine Epigonen in engster Nachbarschaft sehen liess und noch heute eine nur durch die Verschiedenartigkeit der Chiffren gestörte Stileinheit aufweist. Damals, als er noch nicht die abgeklärte Ruhe des weimarischen Goethe besass, war es für die Anfänger noch schwer, ihm durch das Gestrüpp seines seltsam verschnörkelten und kunstvoll verzweigten Undeutsch zu folgen. Heute, wo er Goethe copirt, findet er die meisten Nachahmer. Kaum einen seiner Schüler gibt es, der um den Unterschied zwischen einem „Kenner“ und einer „Menge“
Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_03.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)