Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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Geschichtsentwicklung durch innere auf inductivem Wege gefundene Gesetze mit zwingender Nothwendigkeit bestimmt werden lässt; diese weist Stieve aber als nicht auf die Geschichte anwendbar mit Entschiedenheit zurück. Wesshalb nennt er denn die von ihm als neu empfohlene, thatsächlich allgemein anerkannte Methode eine naturwissenschaftliche? Weil sie „empirisch ist und voraussetzungslos auf Grund möglichst zahlreicher durch prüfende Beobachtung gewonnener Thatsachen Schlüsse zieht“? Das ist ja doch das bei allen Wissenschaften der Neuzeit angewandte Verfahren. Weil sie sich „nicht durch Autoritäten binden lässt“? Wenn hierunter, wie anzunehmen, quellenmässige Autoritäten verstanden sein sollen, so dächte ich doch, wir hätten nicht erst die Naturwissenschaften nöthig, um uns über eine unabhängige Stellungnahme zu den einzelnen Quellen zu belehren. Weil sie „die Erscheinungen in ihrer Ganzheit und in ihrem organischen Zusammenhange mit anderen auffasst“? Diese Auffassungsweise ist doch seit Leibniz immer mehr die allgemeine Grundlage unserer gesammten wissenschaftlichen Anschauungen geworden. Niemand wird leugnen, dass an der Ausbildung dieser modernen wissenschaftlichen, also auch historischen Anschauungsweise die Naturerkenntniss und deren realistische Methode einen bedeutenden Antheil gehabt hat, aber kaum geringeren Antheil haben daran doch die rein philosophischen, philologischen und historischen Disciplinen, und es lässt sich immerhin darüber streiten, ob nicht die neuere genetische Naturerkenntniss und Entwicklungslehre nebst ihrer Methode im Grunde auf dem Durchdringen und der Anwendung historischer Denkweise beruht. Jedenfalls aber haben unsere sogen. Geisteswissenschaften auf der gemeinsamen Grundlage der modernen Anschauung ihre Methode und Auffassung durchaus selbständig entwickelt, und wir haben durchaus keinen Anlass, diese als naturwissenschaftliche zu bezeichnen. Von Anwendung naturwissenschaftlicher Forschungsweise kann daher bei uns nur in dem Sinne die Rede sein, den Stieve als unzulässig zurückweist: im Sinne Comte’s, Buckle’s und all’ jener Socialisten und Materialisten, die der Geschichte Umkehr und Bekehrung zur Naturwissenschaft zumuthen. Wir haben wahrlich genug mit der ungeheuren Verwirrung der Anschauungen zu schaffen, welche durch diese „Geschichte auf materieller Grundlage“, wie die Socialisten sie gern nennen, angerichtet wird, um nicht neue Verwirrung durch Bemerkungen zu veranlassen, welche von den Anhängern jener Irrmeinungen, ganz gegen die Ansicht unseres Historikers, als Wasser auf ihre Mühle betrachtet werden, und welche in unberechtigter Weise die eigensten Errungenschaften unserer Disciplin unter den Scheffel stellen.
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_357.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)