Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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Wie in das zuletzt Mitgetheilte seine Theorie oder besser gesagt Marotte von der Erblichkeit der Eigenschaften hineinspielt, als wonach wir den Charakter vom Vater, von der Mutter aber den Intellect überkommen, so krankt die ganze „Rechtslehre und Politik“ an einer bei einem Philosophen schier unglaublichen Subjectivität, für welche wohl nichts bezeichnender ist, als seine einseitige Charakteristik des amerikanischen Wesens. Wüssten wir nicht hinlänglich, wie gering Schopenhauer von dem Werthe des Studiums der Geschichte dachte[1], derartige Sätze würden allein beweisen, dass er sich nicht viel damit befasst hat. Die Vorlesungen, die er als Student bei Heeren und Wolf gehört hat[2], waren überhaupt wohl die letzte Berührung mit einer Disciplin, deren Unzuverlässigkeit er durch ein cynisches Gleichniss veranschaulicht hat[3]. So finden wir bei ihm kein Anzeichen einer Bekanntschaft mit Niebuhr, mit dem sich doch der um achtzehn Jahre ältere Hegel, wenn auch polemisch, auseinandergesetzt hat; kein Wort seiner Schriften und Briefe deutet auf Kenntniss der Schriften Ranke’s und seiner Schule hin[4]. Wenn er dennoch der Weltgeschichte eine Einwirkung auf den
- ↑ Memorab. 301.
- ↑ Ebenda 232. Er hörte bei Heeren 1809/10 Staatengesch. S. S. 1810 Gesch. d. Kreuzzüge. S. S. 1811 Ethnographie b. Heeren. Reichsgesch. b. Lüder. In Berlin: 1812/13 Griech. Alterthümer b. Wolf.
- ↑ Parerga II, 480.
- ↑ Was er ebenda 481–2 über die neuere kritische Geschichtsforschung bemerkt, ist viel zu allgemein gehalten, als dass man daraus auf histor. Studien schliessen dürfte. Da ist nun eine neuere Publication von E. Grisebach, Edita u. Inedita Schopenhaueriana, Lpzg. 1888, wenigstens in einem Punkte von Interesse. Grisebach hätte sein in typographischer Beziehung hervorragendes Buch auch einen Beitrag zum Schopenhauercultus nennen können. Denn aus den hier veröffentlichten Randglossen, die jedesmal in der Sprache des betreffenden Buches abgefasst sind, ersieht man nur, dass Schopenhauer das Wort Esel in allen Sprachen geläufig war. Aber wir finden hier auch einen Katalog der Schopenhauer’schen von Gwinner verkauften Bibliothek, der nach dem Bär’schen Auctionskatalog angefertigt, zwar nicht vollständig ist, aber doch weitaus den grössten Theil derselben enthält. Mag es da nun eine Folge der Unvollständigkeit sein, dass wir keinen Thukydides u. Polybios finden, so stimmt es auffallend, dass seine Bibliothek an historischen Werken nur Indica, von neueren Deutschen Historikern aber nur J. v. Müller’s ihm von Heeren anempfohlene allgemeine Geschichte enthält. Auf der Frankfurter Stadtbibliothek aber war der Philosoph, der seinen Bedarf an Büchern sich anzuschaffen pflegte, ein seltener Gast.
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_062.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)