Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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des Genius wandeln, sobald er uns nämlich in der Geschichte das Wesen der Menschheit aufdeckt[1]. Doch fügt er sofort hinzu, dass dies nur ein Ausnahmefall sein dürfe. Denn der Historiker hat sich stets an die Erscheinungswelt zu halten und darf demgemäss nie von der strengen Verknüpfung von Ursache und Wirkung absehen. Was ohne Wirkung geblieben ist, steht ausserhalb seiner Sphäre und die Idee kommt desshalb nach ihrer inneren Bedeutsamkeit bei dem Dichter zu reinerer Entfaltung.
In einem Punkte hat Schopenhauer gewiss Recht. Es ist die Achillesferse des Historikers, dass er die Ursachen festgestellter Wirkungen niemals restlos nachzuweisen vermag, wohingegen der Dichter von seinem erhabenen Standpunkte aus selbst das Wunder begreiflich macht. Aber diese Schwäche, die gerade für unsere Wissenschaft so charakteristisch sein soll, haftet ja, wie wir eben erst gehört haben, allen Versuchen an, die sich auf das Begreifen beschränken. Und wenn wir mit dem alten Faust des Glaubens leben, dass die Spur der Erdentage eines wirklich bedeutenden Menschenlebens „nicht in Aeonen untergehen“ werde, so huldigt Schopenhauer dem entgegengesetzten Glauben und erinnert durch seine Declamationen über einflusslos gebliebene Handlungen hervorragender Individuen nur an den Denker, der Jahrzehnte lang vergeblich auf die Anerkennung der Mitwelt gewartet hat.
Das Hauptergebniss der bisherigen Ausführungen scheint mir aber zu sein, dass die Grundprincipien der Schopenhauer’schen Lehre zwar zu einem Gegensatze zwischen Philosophie und Wissenschaft führen, dass hingegen eine Ausstossung der Geschichte aus der Reihe der Wissenschaften keineswegs mit Nothwendigkeit daraus folgt. Um so unwiderleglicher folgt sie seiner Meinung nach aus seiner Definition des Begriffes Wissenschaft. Diese ist nämlich diejenige Form der Erkenntniss, welche vom Allgemeinen auf das Besondere schliesst, so zwar dass sie das Besondere dem Allgemeinen subordinirt. Da nun Schopenhauer das Allgemeine der Geschichte in dem ganz und gar willkürlichen Schematismus der Hauptperioden sieht, Begriffe wie Gattung, Volk, Staat, Cultur jedoch völlig unbeachtet lässt, so hat er natürlich leichtes Spiel, die Subordination des Besonderen
- ↑ W. a. W. I, 288.
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_057.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)