Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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die – schon in den communistischen Tendenzen des 4. Jahrhunderts so bedeutsam hervortretende – Forderung einer gewaltsamen wirthschaftlichen Ausgleichung von Staatswegen im 3. und 2. Jahrhundert das allgemeine Feldgeschrei der Massen geworden ist.
So sind denn auch die, so recht aus diesen Verhältnissen heraus geschriebenen Erörterungen der Aristotelischen Staatslehre über die wirthschaftliche und sociale Differenzirung der Gesellschaft und deren Einfluss auf das politische Leben für Grote ebenso wenig vorhanden, wie die Klage des Aristosteles über das Zusammenschwinden des Mittelstandes und seine socialreformatorischen Ideen und Vorschläge zur Errettung der freien Arbeit aus hoffnungsloser Besitzlosigkeit. Grote kommt daher auch nicht entfernt dazu, die Entwicklung der politischen Parteikämpfe und den Wechsel der Verfassungsformen nach dem Beispiel des Aristoteles im Zusammenhang mit der Wirthschafts- und Gesellschaftsordnung zu erfassen und zu beurtheilen. Sein Massstab ist vielmehr stets ein ganz einseitig politischer.
Die Frage nach der Entwicklung der „constitutionellen Sittlichkeit“ und der Freiheit der Debatte ist für ihn das einzige in Betracht kommende Moment, von dem allein es abhängen soll, ob im politischen Leben die Staatszwecke oder Ehrgeiz und Leidenschaft obsiegen. Ich erinnere z. B. an die Schilderung der greuelvollen Auswüchse des Parteikampfes in Korkyra[1] und Argos[2]. Grote sieht in diesen Schreckensscenen nur das Werk grimmiger politischer Leidenschaft, wie sie bei einer Bevölkerung begreiflich sei, die weder Geschmack für Beredsamkeit gehabt, noch gewöhnt gewesen sei, Reden auf sich wirken zu lassen, jede Frage friedlich für und wider discutiren zu hören. Habe ja doch auch Cicero gesagt, dass ihm nie etwas von einem argivischen Redner zu Ohren gekommen![3]
Wie unendlich dürftig erscheint eine derartige Causalerklärung,
- ↑ H. of Gr. Bd. VI, 58 f.
- ↑ Ebenda Bd. IX, 418 f.
- ↑ We know the facts too imperfectly to be able to infer anything more, than the brutal working of angry political passion amidst a population like that of Argos or Korkyra, where there was not (as at Athens) either a tast for speech or the habit of being guided by speech and of hearing both sides of every question fully discussed. Cicero remarks that he had never heard of any Argeian orator.
Ludwig Quidde (Herausgeber): Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, Freiburg i. Br. 1890, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_013.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2022)