Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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seinem Fortgange zu Stande kam, wie er schliesslich das Berliner Seminar begründete.
W.’s Uebungen waren, wenigstens in der Göttinger Zeit, ähnlich wie die Collegien, nicht auf Anfänger, sondern auf ziemlich weit vorgeschrittene Schüler berechnet. Er suchte in der Regel nicht etwa durch Fragen und Discussion die Theilnahme der Studenten an der Untersuchung zu gewinnen, sondern er führte diese im Wesentlichen selbst oder nahm Arbeiten einzelner Schüler durch. Es wurde also selbständige Aufmerksamkeit verlangt, die Jeder durch eigenes Eingreifen in die Erörterung frei bethätigen mochte. Die ganz Ungeübten oder Bequemen werden nicht vollen Gewinn davon getragen haben; wer aber selbstthätig bei der Sache war, konnte kaum bessere Schulung finden.
Gewaltig war die Mühe und Arbeit, welche ihm die Vorbereitung der Uebungen und die Kritik der Schülerarbeiten verursachte. Es ist wehmüthig, die aufgehäuften Blätter zu durchmustern, auf denen er Notizen für die Bearbeitung von Thematen sammelte. Welch’ eine Summe von Arbeit, Wissen und Scharfsinn liegt in diesen Notizen mit ihren nur angedeuteten Combinationen begraben. Und nicht etwa beschränkt sich diese Sammlung auf das Feld der eigenen Studien; sie umfasst vielmehr mit erstaunlicher Vielseitigkeit fast das ganze Gebiet der Geschichte. Mit wahrhafter Aufopferung wurde dann der Schüler in seiner Arbeit berathen und gefördert, und ein inneres und dauerndes Verhältniss zwischen Lehrer und Schüler war in zahlreichen Fällen die Frucht solcher Zeiten. Niemals klopfte der Student vergebens an W.’s Thüre, selbst unbescheidenen Forderungen wurde es ihm schwer mit einem Nein zu begegnen. Manchmal konnte man die Empfindung haben, dass die Grenze überschritten wurde, die in seinem und der Wissenschaft Interesse dieser Aufopferung hätten gezogen werden sollen: wenn halbe Nächte der Correctur von Dissertationen gewidmet wurden und wenn einzeln wohl auch unselbständige Schüler das ihnen Gebotene so ausnutzten, dass der Lehrer schliesslich das Beste gethan hatte.
Uebrigens lassen sich Aenderungen in seiner Art die Uebungen zu leiten leicht verfolgen. In Tübingen suchte er mehr die Einzelnen zum Mitarbeiten heranzuziehen; auch in Strassburg und Göttingen pflegte er eine grössere Zahl von Themen vorzulegen und zu erörtern, daneben auch Schülerarbeiten in den Uebungen durchzusprechen;
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_336.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)