Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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Allein es fällt doch auf, dass das, was angeblich „naturgemäss“ ist, durch äussere Zeugnisse so wenig belegt wird! Endlich gebraucht Kruse noch folgendes Argument (S. 197): Die Gilde des 12. Jahrhunderts hat das Vorrecht des Weinzapfes; die Bürgermeister vertheidigen im 13. Jahrhundert das bürgerliche Vorrecht des Weinzapfes gegen die weinschenkende Geistlichkeit; also sind sie ehemalige Gildebeamte. Nun nehmen jedoch die Bürgermeister bekanntlich in allen Städten, auch in den süddeutschen, für welche Kruse mit Nitzsch die Existenz von Gilden bestreitet, jene Function wahr! Wie es sich indessen auch mit der Gildecompetenz verhalten mag – mag auch manche Gilde die Competenz haben, welche den Mittelpunkt der Competenz der Communalorgane bildet –, weder äussere noch innere Gründe sprechen dafür, dass die letztere aus der ersteren stammt[1]. Jedermann weiss, dass die deutsche Gemeindeentwicklung nicht mit der Stadtgemeinde beginnt, dass vielmehr vorher die Landgemeinde vorhanden ist. Diese aber besass im Keime bereits die Competenz, welche später der Stadtgemeinde in ausgebildeterer Form zusteht: Verleihung der Gemeindemitgliedschaft, Ordnung des Masses und Gewichtes, des „feilen Verkaufes“ (s. meine Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, S. 4 ff.). Ist man bei dieser Uebereinstimmung nicht zu der Annahme genöthigt, dass die Stadtgemeindecompetenz in der Landgemeindecompetenz ihren Ursprung hat? Müsste nicht ein erdrückendes Material von Aussagen, die das umgekehrte Verhältniss bekunden, herbeigeschafft werden, bevor man die Annahme, welche sich durch so grosse innere Wahrscheinlichkeit empfiehlt, aufgeben darf? Nicht genug aber, dass solche vollkommen fehlen, wir haben im Gegentheil genug äussere Zeugnisse, welche den Zusammenhang der Stadtgemeindecompetenz mit der Landgemeindecompetenz direct aussprechen (a. a. O. S. 48 u. 76 ff.). Wir können auch hier wieder aus Kruse’s eigenen Ausführungen Argumente gegen seine Ansicht
- ↑ Kruse führt S. 197 nach Nitzsch das Beispiel der Stadt Menden (ähnlich ist es angeblich in Groningen) an, wo die Gildemeister die Aufsicht über Mass und Gewicht führen. Allein dieses Beispiel stammt aus später Zeit und kann daher unmöglich für die Bestimmung des Wesens einer Gilde, welche nur in der ersten Zeit der städtischen Entwickelung bestanden haben soll, verwandt werden. Im übrigen spricht alles dafür, dass die Gilde in Menden ihre Competenz von der Gemeinde erhalten hat (und nicht umgekehrt). Man vergegenwärtige sich, dass die Zünfte im Mittelalter nach dem Besitz eigener Gerichtsbarkeit in Gewerbesachen streben. Ebenso wird es sich mit jener Gilde verhalten. Die Bedeutung der Gilden kann nur dann richtig gewürdigt werden, wenn man sie mit den Handwerkszünften in Parallele bringt.
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_445.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2022)