Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Waldenserthum und Inquisition im südöstlichen Deutschland bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts | |
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hin: was uns der Passauer Anonymus über die „Leonisten“ von 1260 in dieser Beziehung mittheilt, stimmt ganz mit dem über die Kremser Häretiker Berichteten überein[1]. Auch die letzte noch erübrigende Mittheilung unseres Quellenberichtes endlich, dass unter den österreichischen Ketzern beiderlei Geschlechts sich selten Jemand finde, der nicht den Text des neuen Testamentes auswendig wisse[2], dürfte sich am ungezwungensten mit den Gläubigen der Waldensersecte in Verbindung bringen lassen.
Zu den inneren Gründen, welche die Beziehung des Kremser Berichtes auf die waldensische Secte wahrscheinlich machen, kommt als unterstützendes Moment noch die bereits früher (S. 289) von uns hervorgehobene Thatsache hinzu, dass die Katharer, die allein ausser den Waldensern noch etwa in Betracht kommen könnten, schon um 1260 aus Süddeutschland und speciell auch aus Oesterreich durch die Waldenser zurückgedrängt waren. Die ausserordentlich weite Verbreitung der ketzerischen Secte von 1311 ff. in Oesterreich und den Nachbarländern lässt sich ferner nur unter der Voraussetzung erklären, dass dieselbe dort seit Generationen eingebürgert war; ihr Bischof hatte damals schon 50 Jahre lang seines Amtes gewaltet, und bereits die Eltern der Verurtheilten hatten der Secte angehört[3]. Dies alles führt uns in die Zeit um 1250–1260 zurück, zu welcher, wie den Mittheilungen des Passauer Anonymus zu entnehmen ist, die Inquisition in Oesterreich ausschliesslich durch die Verfolgung der dortigen Waldenser in Anspruch genommen war. Und auch die locale Verbreitung der Secte von 1311 ff. entspricht zum guten Theile derjenigen der österreichischen Waldenser von 1266, aber auch dem, was wir von der Geschichte der Secte am Ende des 14. Jahrhunderts wissen. So begegnet Steyer sowohl in der Liste der von den Waldensern inficirten Pfarreien von 1266, als auch in den Ketzerprocessen
- ↑ Friess S. 256: item cum alter ad alterum voluit venire, ne christianis praesentibus inopinate intraret, appropinquans ianuae dicit: „ist icht chrumpes holtzs drinne?“ womit zu vergleichen die Angabe des Passauer Anonymus über die Waldenser in Bibl. max. XXV, 264 B: quando simul conveniunt, tunc primum dicunt: „Cavete, ne inter nos sit lignum curvum, id est, aliquis extraneus“.
- ↑ Pez col. 536: raro est apud eos homo cuiuscunque sexus, qui textum novi testamenti non sciat cordetenus in vulgari. Vergl. die Angaben des Passauer Anonymus über die Waldenser a. a. O. S. 264 A: novum et vetus testamentum vulgariter transtulerunt et sic docent et discunt; audivi et vidi quendam rusticum idiotam, qui Job recitavit de verbo ad verbum et plures qui totum novum testamentum perfecte sciverunt.
- ↑ Vergl. Pez col. 535: quidam, Andreas nomine, tunc temporis crematus dixit: ab infantia parentes nostri in haeresi nos nutrierunt.
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_327.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)