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Seite:De DZfG 1889 01 322.jpg

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Namen „Picarden“ und Waldenser beigelegt erhalten hatten, ziemlich allgemein als Stifter des böhmischen Zweigs der Waldenser – soweit man nicht Waldes selbst nach Böhmen versetzte – gegolten hat[1].




Anhang II. Ueber die religiöse Stellung der österreichischen Häretiker von 1311 ff.

Die Frage, welcher Secte die uns hier beschäftigenden Häretiker zuzurechnen sind, ist bisher in sehr verschiedener Weise beantwortet worden. Gieseler[2], Friess (S. 222 ff), Hahn[3] und Lea (II, 358) betrachten sie als einen Zweig der pantheistischen Brüder des freien Geistes, Preger[4] als Katharer, Riezler[5] als Waldenser. So grosse Schwierigkeiten die Beschaffenheit unserer einzigen Quelle, des Kremser Berichtes[6], der Untersuchung entgegenstellt, so dürfte es bei sorgfältig kritischer Behandlung jener Aufzeichnung doch gelingen, die religiöse Stellung der Sectirer von 1311 ff. mit annähernder Sicherheit zu fixiren.

Die den österreichischen Ketzern beigelegten Glaubenslehren lassen sich in drei Gruppen scheiden; die erste deckt sich im Wesentlichen mit den Lehrsätzen, die man zur Zeit Konrad’s von Marburg den „Luciferianern“ zuschrieb; die zweite charakterisirt sich durch eine scharf ausgeprägte Opposition gegen das cultische System des Katholicismus; die dritte Gruppe bringt leider nur vereinzelte Angaben über die Organisation und den Cultus der verfolgten Secte.

Wollte man den Mittheilungen des Berichtes über den Satansdienst der österreichischen Häretiker Glauben schenken, so wäre ihre Secte noch am ersten als eine Abzweigung des Katharerthums zu bezeichnen; Beziehungen zu den Amalricianern lässt der Bericht überhaupt nicht erkennen. Aber auch als Katharer können die Kremser Ketzer nimmermehr gelten. Den fundamentalen Grundsätzen der Katharer entgegen essen sie, voran ihr angeblicher „filius major“, Fleisch und ergehen sich geschlechtlichen Ausschweifungen; Angaben,

  1. Vergl. z. B. Camerarius, Hist. narrat. de fratrum orthodoxorum ecclesiis S. 7.
  2. Lehrbuch der Kirchengesch. II, 3 (2. Aufl.), S. 307 f.
  3. Geschichte der Ketzer II, S. 523 f.
  4. Ueber das Verhältniss der Taboriten u. s. w. S. 29.
  5. Geschichte Baierns II, 227.
  6. Ueber die verschiedenen Fassungen dieser Quelle vergl. oben S. 298, Anm. 2.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_322.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)