Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
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ihm neben tiefer Stoffdurchdringung rege Combination und der Vergleich verschiedener Perioden, der freilich, auf so umfassender Bildung er auch fusst, manchmal recht gewagt erscheint. Zwar verschweigt er nicht, wie widersprechend oder lückenhaft die Ueberlieferung, wie unsicher die Entscheidung ist, er lässt den Leser selbst zur höheren Kritik zu; allein der Gesammtbau aus einzelnen Wahrscheinlichkeiten gibt sich dann doch als unerschütterlich. Wie vieles ruht auf der Voraussetzung, die damaligen Erzähler hätten wohl entstellt, aber nicht geradezu gelogen: was in ruhigen Zeiten gelten mag, aber für heftige Parteikämpfe nicht zutrifft; man denke an die Investiturschriften! Vom Standpunkt des patriotischen Engländers und des ernsten Sittenrichters fällt Verfasser Urtheile mit längeren Erkenntnissgründen über den Werth der That: ich glaube, dabei vermischt er nicht sowohl die damalige Moral mit der heutigen (vor deren Verwechselung er selber mehrfach warnt) als die bürgerliche mit der politischen. Er stellt die Dinge lieber mit kräftiger Wucht als mit feiner Glätte dar, bevorzugt im Ausdruck die lehrhafte Formel, die er dann breit auseinandersetzt, vor der abwägenden Einschränkung, und im Wortschatz das Germanisch-Alterthümliche vor dem romanisirten Zeitungsenglisch. Gern achtet man auf gelegentliche allgemeine historische Betrachtungen, z. B. dass durch Befriedung einzelner Wochentage die Anschauung, an den übrigen sei Fehde erlaubt, erst rechtlichen Ausdruck erhielt, dass kirchliche Sprengel meist früher politische Gaue waren, dass der Bau von Adelsburgen gewöhnlich die Anarchie, deren Fall den Landfrieden bedeutete, dass um 1048 das Ritterthum noch keinen Wappenschild kannte (S. 14. 23. 17. 22). – Dem Laienleser zu Liebe musste die Hälfte des Bandes der Einleitung bis 1067 gewidmet und jeder gelehrte Beleg fortgelassen werden. Um so einheitlicher erscheint das kleine Kunstwerk; man kann nichts daran ergänzen[1], so fertig ist alles; wer es bekrittelt,
- ↑ Im Einzelnen möchte Referent in einer gewiss bald erscheinenden zweiten Auflage die normannischen Neuerungen in der Schatzverwaltung, dem gerichtlichen Beweis, dem Erbrecht schärfer betont wissen; mir erscheint überhaupt die Entwicklung der englischen Verfassung als durch die normannische Eroberung mehr durchbrochen als Freeman (S. 127) zugibt. Grimmer Scherz und Formalismus, als normannische Charakterzüge (S. 41. 61) beobachtet, sprechen sich im germanischen Rechtsleben überhaupt aus; das Silbenstechen durchzieht im Besonderen den normannischen Process. Die „landsittende“ dürfen nicht als Vorahnung des Unterhauses (S. 136) gelten; denn sie erscheinen nicht als Vertreter und nicht zur Berathung. Die Jagd als blosses Vergnügen (S. 172) wird lange vor Wilhelm geübt: Eadgar verbietet sie den Priestern. Das Wort „Forst“ (S. 171)
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_181.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)