Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft | |
|
Mir scheint, wir werden immer auf den menschlichen Standpunkt zurückgewiesen, von dem aus die That, wenn sie zweifellos beglaubigt ist, als die blutigste Gewaltthat erscheinen muss, von der die deutsche Geschichte weiss[1], als „das schwärzeste Mahl im Leben Karls des Grossen“, wie Luden sagte, „das durch nichts zu verwischen und kaum irgend zu mildern ist“.
Aber ist denn das Zeugniss der Quellen wirklich ein so bestimmtes und ein so zuverlässiges, dass es uns gebietet, das Ungeheuerliche als Thatsache hinzunehmen, selbst wenn uns unbegreiflich bleibt, wie es hat ausgeführt werden können?
Es ist merkwürdig, dass, soviel auch die Quellen zur Geschichte Karls des Grossen nach allen Seiten kritisch geprüft worden sind, niemals, so viel ich sehe, ein Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Ueberlieferung über die Hinrichtung bei Verden geäussert worden ist, merkwürdig, weil doch diese dem grossen Könige zugeschriebene That von jeher gerechtes Aufsehen erregt hat. Wenn ich es gegenüber dem einstimmigen Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Quellenangaben wage, diese anzuzweifeln, so muss ich um so mehr auf Widerspruch gefasst sein, als ich einen bündigen Beweis für meine gegentheilige Ansicht nicht zu erbringen vermag. Immerhin schien es mir, da einmal der Zweifel sich geregt hatte und im Fortschritt der Untersuchung sich mehrte, angesichts der Persönlichkeit Karls des Grossen der Mühe werth, ihm öffentlich Ausdruck zu geben. Und der Zweifel hat scharfe Klauen; einmal ausgesprochen, wird er vielleicht auch andere Forscher ergreifen, denen es aus einer neuen Betrachtung der Quellen besser, als mir, gelingen mag, den König von der schweren Belastung zu befreien, die ein Jahrtausend auf sein Gedächtniss gewälzt hat.
Nur darüber ist gelegentlich eine Meinungsverschiedenheit entstanden, ob die 4500 Schlachtopfer wirklich, wie die Lorscher- und die Einhards-Annalen sagen, von ihren Landsleuten ausgeliefert seien, oder ob sie sich etwa selbst dem Könige gestellt haben. Abel entscheidet sich der grossen Menge halber für das letztere[2], Kentzler baut gerade auf die bestimmte Angabe der
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_080.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2022)