Ich avancirte; aber Anne Lene kam mir nicht entgegen; sie ließ die Arme herab hängen und musterte mit unverkennbarer Verdrossenheit den struppigen Kopf meines Spielcameraden.
„Nun“, fragte meine Mutter, „soll Simon nicht sehen, was Ihr gelernt habt?“
Allein die kleine Patrizierin schien durch die Gegenwart dieser Werkeltags-Erscheinung in ihrer idealen Stimmung auf eine empfindliche Weise gestört zu sein. Sie legte den Fächer auf den Tisch und sagte: „Laß Marx nur mit dem Jungen spielen.“
Ich fühle noch jetzt mit Beschämung, daß ich dem schönen Kinde zu gefallen, wenn auch nicht ohne ein deutliches Vorgefühl von Reue, meinen plebejischen Günstling fallen ließ. „Geh nur, Simon,“ sagte ich mit einiger Beklemmung, „ich habe heute keine Lust zu spielen!“ Und der arme Junge rutschte von seinem Stuhl und schlich sich schweigend wieder von dannen.
Meine Mutter sah mich mit einem durchdringenden Blick an; und sowohl ich wie Anne Lene, als diese späterhin in ein näheres Verhältniß zu unserem Hause trat, haben noch manche kleine Predigt von
Theodor Storm: Auf dem Staatshof. Braunschweig: George Westermann, 1891, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Storm_Auf_dem_Staatshof_18.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)