Wenn wir Bauten aufführen wollen, werden wir nicht hilflose Pfahlbauten an einen Seerand stecken, sondern wir werden bauen, wie man es jetzt thut. Wir werden kühner und herrlicher bauen, als es je vorher geschehen ist. Denn wir haben Mittel, die in der Geschichte noch nicht da waren.
Unseren niedersten wirthschaftlichen Schichten folgen allmälig die nächsthöheren hinüber. Die jetzt am Verzweifeln sind, gehen zuerst. Sie werden geführt von unserer überall verfolgten mittleren Intelligenz, die wir überproduciren.
Die Frage der Judenwanderung soll durch diese Schrift zur allgemeinen Discussion gestellt werden. Das heisst aber nicht, dass eine Abstimmung eingeleitet wird. Dabei wäre die Sache von vorneherein verloren. Wer nicht mit will, mag da bleiben. Der Widerspruch einzelner Individuen ist gleichgiltig.
Wer mit will, stelle sich hinter unsere Fahne, und kämpfe für sie in Wort, Schrift und That.
Die Juden, welche sich zu unserer Staatsidee bekennen, sammeln sich um die Society of Jews. Diese erhält dadurch den Regierungen gegenüber die Autorität, im Namen der Juden sprechen und verhandeln zu dürfen. Die Society wird, um es in einer völkerrechtlichen Analogie zu sagen, als staatbildende Macht anerkannt. Und damit wäre der Staat auch schon gebildet.
Zeigen sich nun die Mächte bereit, dem Judenvolke die Souveränetät eines neutralen Landes zu gewähren, so wird die Society über das zu nehmende Land verhandeln. Zwei Gebiete kommen in Betracht: Palästina und Argentinien. Bemerkenswerthe Colonisirungsversuche haben auf diesen beiden Punkten stattgefunden. Allerdings nach dem falschen Princip der allmäligen Infiltration von Juden. Die Infiltration muss immer schlecht enden. Denn es kommt regelmässig der Augenblick, wo die Regierung auf Drängen der sich bedroht fühlenden Bevölkerung den weiteren Zufluss von Juden absperrt. Die Auswanderung hat folglich nur dann einen Sinn, wenn ihre Grundlage unsere gesicherte Souveränetät ist.
Die Society of Jews wird mit den jetzigen Landeshoheiten verhandeln, und zwar unter dem Protectorate der europäischen Mächte, wenn diesen die Sache einleuchtet. Wir können der jetzigen Landeshoheit ungeheuere Vortheile gewähren, einen Theil ihrer Staatsschulden übernehmen, Verkehrswege bauen, die ja auch wir selbst benöthigen, und noch vieles andere. Doch schon durch das Entstehen des Judenstaates gewinnen die Nachbarländer, weil im Grossen wie im Kleinen die Cultur eines Landstriches den Werth der Umgebung erhöht.
Theodor Herzl: Der Judenstaat, Berlin und Wien 1896, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Herzl_Judenstaat_28.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)