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Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6

Bahnsteig auf und ab gingen. Soeben flüsterte Lisa dem heute nicht nur infolge der bevorstehenden Trennung auffallend einsilbigen Referendar aufmunternd zu:

„Schatz, ich habe wirklich die feste Zuversicht, daß zwischen Käti und Benters noch alles ein gutes Ende nimmt. Diese plötzliche Abfahrt ist doch nichts anderes als eine Flucht. Käti fürchtet eben, daß sie dem innigen Werben des Assessors nicht länger widerstehen kann. Und daraus ist am besten zu sehen, wie sehr sie ihn lieben muß. Denn bisher hat noch keiner von den vielen Herren, die sich ihr näherten, ihre Vorsätze und ihr Mißtrauen auch nur im geringsten erschüttern können. Allen ist sie mit derselben müden Gleichgültigkeit entgegengetreten – allen. Und für Benters hatte sie doch sofort ein Interesse – gerade so wie ich für Dich!“ fügte sie schalkhaft lächelnd hinzu. Und Jarotzki dankte ihr diese letzten Worte durch einen zärtlichen Händedruck und einen glückstrahlenden Blick.

„Jedenfalls bleibt es also bei unserer Verabredung, Liebling,“ meinte er dann nachdenklich. „Ihr beide – Du und Bix – müßt dafür sorgen, daß Käti ständig an Benters erinnert wird. Und wenn Du aus irgendwelchen Anzeichen schließen zu können glaubst, daß sie anderen Sinnes geworden ist, so teilst Du es mir umgehend mit. Die beste Gelegenheit, Deine Schwester aufzusuchen, hätte er ja, wenn es mir wirklich glücken sollte, die Schmucksachen wieder herbeizuschaffen, wozu ich sehr begründete Aussicht habe, wie ich bereits erzählte. Er könnte sie Käti dann zurückbringen. So wäre immerhin ein Grund für eine Fahrt nach Königsberg und für einen Besuch bei ihr gegeben. Das weitere wird sich dann schon von selbst finden. Ich komme natürlich sofort zu Deinen Eltern, Liebes, sobald ich diese geheimnisvolle Diebstahlsgeschichte erledigt habe. Bis dahin mußt Du Dich schon mit täglichen Briefen begnügen. An Deinen Vater schreibe ich gleich heute nachmittag, ebenso auch an die Meinen daheim. Und spätestens in einer Woche feiern wir dann Verlobung … hoffentlich eine Doppelverlobung. – Doch nun mußt Du einsteigen, Schatzel … Es ist die höchste Zeit …“

***

„Jarotzki, bitte, etwas weniger wild und ohne Türenzuknallen! … Oder hat Sie Ihre Reise so nervös gemacht?“ rief Benters fast unwillig, da der Referendar soeben mit allen Anzeichen freudiger Erregung und den überflüssig oft wiederholten, rätselhaften Worten: „Ich hab’ sie … ich hab’ sie!“ in des Assessors Wohnzimmer gestürmt war und diesen so höchst unsanft aus dem Mittagsschlafe geweckt hatte. – Der wenig freundliche Empfang konnte Jarotzki die gute Laune jedoch nicht verderben. Er warf sich aufatmend in den breiten Klubsessel und zwinkerte dem Freunde, der ihn von seinem Divan aus forschend musterte, nur vielsagend zu.

„Strengen Sie Ihr Köpfchen etwas an, Verehrtester!“ meinte er mit seinem alten Übermut. „Hier sitzt des Rätsels Lösung!“ Und dabei legte er die rechte Hand auf die Stelle seines hellgrauen Rockes, unter der sich so ungefähr das Herz befinden mußte.

Benters schloß mit einem ärgerlichen Achselzucken die Augen und drehte sich mit einem Ruck wieder der Wand zu. Er befand sich in diesen vier Tagen, die seit der Abreise Frau Trauts verstrichen waren, schon ohnehin in einer sehr reizbaren Stimmung, und dieser verliebte Jarotzki, der doch sicherlich wieder einen Brief von seiner Lisa in der Tasche hatte, nahm auf seine niedergedrückte Gemütsverfassung auch nicht die geringste Rücksicht mehr, zeigte ihm vielmehr bei jeder Gelegenheit, wie unglaublich glücklich er und seine Lisa waren, ohne daran zu denken, daß er durch die steten Lobpreisungen der Geliebten und die ebenso häufige Erwähnung der neuen Schwägerin und Bixens die noch ganz frische Herzenswunde des Freundes wieder zum Bluten bringen mußte. – Der Referendar ahnte sehr wohl, welcher Art die Gedanken waren, die Benters jetzt beschäftigten. Trotzdem schaute er seelenruhig mit einem behaglichen Lächeln zu ihm hinüber. Wußte er doch genau: Wenige Worte der Aufklärung, und des Assessors Benehmen würde sich im Augenblick ändern.

„Viel Interesse scheinen Sie für die gestohlenen Schmucksachen meiner Schwägerin allerdings nicht zu haben,“ sagte er dann möglichst gleichgültig. – Diese Andeutung genügte. Der Assessor schnellte aus seiner liegenden Stellung mit fast komischer Hast auf, saß jetzt kerzengerade da und blickte sein Gegenüber unsicher fragend an.

„Schmucksachen … Schwägerin? – Was reden Sie da, Jarotzki? – Bitte, halten Sie mich nicht zum Narren! – Oder … sollten Sie denn wirklich herausbekommen haben, wo die Schmucksachen geblieben sind …?“ setzte er zweifelnd hinzu, da er dem Freunde einen so geschmacklosen Scherz nicht zutrauen mochte.

„Nicht … „sollte“, Benters, nicht … „sollte“!“ lachte der Referendar triumphierend. „Ich habe sie tatsächlich wiedergefunden – nein, um mich genau auszudrücken – man hat sie mir so „halb zog es ihn, bald sank er hin“ wieder ausgehändigt. Und hier sind sie …!“ Dabei holte er möglichst umständlich aus seiner Rocktasche ein flaches Etui hervor, das er aufklappte und dem Assessor hinstreckte. In dem Etui aber lagen auf dem weißen Seidenkissen all die auf so geheimnisvolle Weise vor mehr als sechs Wochen verschwundenen Kostbarkeiten. – Benters hielt das hellgraue Kästchen lange in der Hand und starrte wie gebannt auf die blinkenden Goldsachen, auf die beiden glatten Eheringe und die in allen Farben schillernden Brillanten. Seine Gedanken irrten zurück in die jüngste Vergangenheit, zurück in ein dämmeriges Zimmer, in dem ihm Frau Käti die Geschichte ihrer unglücklichen Ehe erzählt und auch von diesen Schmucksachen gesprochen hatte, die für sie nichts bedeuteten, als Erinnerungen an die leidvollsten Jahre ihres Lebens. Und es war ihm, als tauchte plötzlich wieder ihr feines Gesichtchen vor ihm auf, diese blassen trauten Züge mit den wehen Augen. Aber jetzt schien der Mund ihm liebreich zuzulächeln, glückverheißend, hingebender. Da reichte er Jarotzki das Etui wortlos zurück, begann auf und ab zu gehen, als ob er vor dem Sturme, der in seinem Innern so plötzlich entfacht war, flüchten wollte. Endlich blieb er vor dem Freunde stehen. Das, was so plötzlich wieder in seiner ganzen Größe in ihm erstanden war, diese Liebe mit ihren seligen Hoffnungen und schweren Enttäuschungen, hatte er mühsam aus seinen Gedanken zurückgedrängt, und aus dieser so müden Herzensleere heraus fragte er jetzt mit seiner gleichgültigen Stimme:

„Und wie sind Sie in den Besitz der Schmucksachen gelangt, Jarotzki? – Da scheinen Sie ja wirklich einen großen Erfolg als Amateurdetektiv errungen zu haben?“

Doch der Referendar ging zunächst auf diese Frage gar nicht ein. Seine Augen waren vorhin dem ruhelos auf und ab Wandernden mit einem Ausdruck stillen Mitleids gefolgt. Und jetzt streckte er ihm herzlich die Hand hin und sagte in seiner treuen Art:

„Nicht dieses trübe Gesicht, Benters! Sie haben keinen Grund mehr dazu, wirklich nicht! Ich werde Ihnen nachher einen Brief von meiner Lisa vorlesen, der wird auch Sie wieder froh stimmen, glauben Sie mir!“ Er drückte des Freundes Hand kräftiger und fuhr dann bedeutungsvoll fort: „Und morgen fahren wir beide dann sehr wahrscheinlich nach Königsberg. Der Erfolg dieser Reise wird nur von Ihnen abhängen, nur von Ihnen! – Bitte – bezähmen Sie Ihre Neugierde, ich bin erbarmungslos wie ein Stein, Sie können mich auch noch so flehend ansehen … Erst müssen Sie jetzt meinen Bericht anhören, der doch einigermaßen interessant werden dürfte. – Da, nehmen Sie hübsch artig Platz! Eins nach dem anderen! Das Beste aber zuletzt – eben Lisas Brief …“

Der Assessor wollte noch etwas einwenden, aber Jarotzki ließ sich nicht erweichen, sondern schnitt ihm einfach jedes weitere Wort ab, indem er mit erhöhter Stimme seine Ausführungen begann:

„Die allgemeinen Umstände des Diebstahls kennen Sie. Ich brauche daher nicht darauf zurückzukommen. Gehen wir jetzt zunächst mehr auf einige wichtige Einzelheiten ein, die Ihnen das Verständnis für meine späteren Kombinationen erleichtern sollen. – Meine Schwägerin wollte die Abendstunde noch wie gewöhnlich dazu benutzen, um Klavier zu spielen, legte ihre Schmucksachen in ein kleines Henkelkörbchen, das auf einem Tischchen dicht vor dem offenen Verandafenster stand. Ich betone – ein aus Rohrstäbchen geflochtenes Körbchen mit einem Henkel, mit roter Seide gefüttert, wie es die Damen als Nähkörbchen benutzen, und … ein offenes Verandafenster! Das ist wichtig, wie Sie später sehen werden. – Weiter nun. Die Veranda liegt in der ersten Etage des Hauses, geht bis zum zweiten Stock hindurch, wo sich dieselben Räumlichkeiten befinden, die ebenfalls zu dem Wernerschen Pensionat gehören. Beachten Sie, was ich sage: Dieselben Räumlichkeiten im zweiten Stock, auch eine gleiche Veranda wie im ersten, und beide liegen übereinander – Ahnen sie schon etwas …?“

Doch Benters schüttelte nur verneinend den Kopf.

„Nichts?! – Nun, dann muß ich deutlicher werden. – Erinnern Sie sich noch an jenen Vormittag, als wir zum ersten Male mit Bix und der Kinderfrau am Strande zusammen waren und Sie für die Kleine so eifrig Sandtürme bauten, während ich die brave Müllern vorsichtig über die sonstigen Bewohner des Wernerschen Hauses ausholte …? Ich erzählte Ihnen ja noch an demselben Tage nach Tisch

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.30,S.2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0015.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)