Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6 | |
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Ein klingendes Lachen schreckte den Assessor aus seinem grüblerischen Denken auf. Er blickte empor, sah links in den offenstehenden Fenstern der Veranda drei Köpfe dicht nebeneinander – Lisa, Bix und Jarotzki … Und eben beugte sich der Referendar vor und haschte nach Lisas Hand, die gerade Bixens Locken streichelte. Und die Hand wurde nicht zurückgezogen, blieb zwischen Jarotzki gebräunten Fingern, und Benters bemerkte deutlich, wie sich über des jungen Mädchens Gesicht eine heiße Röte ergoß und ihre glückstrahlenden Augen denen des Referendars mit einem Ausdruck so inniger Zärtlichkeit begegneten, daß den Assessor plötzlich ein Gefühl stiller Wehmut beschlich … Ja, der Freund war mit seiner Neigung für Lisa mehr vom Schicksal begünstigt worden. Dafür sprach schon diese kleine Szene, die er soeben zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte und die einen glücklichen Ausgang dieses Liebesromans kaum mehr zweifelhaft erscheinen ließ. – Gedankenverloren, mit fast neidischem Blick, schaute er wieder hinüber zu dem jungen Paare. – Da – plötzlich ein lautes Klirren. Er fuhr herum. Frau Käti hatte eines der dünngeschliffenen Gläser, die sie in das Bufett zurückstellen wollte, umgestoßen. In Scherben lag das Glas zu ihren Füßen. Mit einem hülflosen Lächeln kniete sie jetzt nieder, beugte den Kopf tief herab, und ihre Finger lasen vorsichtig die scharfen Splitter auf … Benters war schnell näher getreten, stand jetzt ganz dicht neben ihr. Noch immer schwebte ihm Lisas von stiller Seligkeit durchleuchtetes Gesicht vor Augen, und dieses fremde Liebesglück gab ihm den Mut, weiter um das eigene zu kämpfen. Und mit einer Stimme, die die Erregung fast heiser machte, sagte er bittend:
„Frau Käti, lassen Sie doch auch für uns diese Scherben das Glück bedeuten, das Glück, nach dem ich mich sehne, seit ich Sie zum ersten Male sah … Sie müssen doch längst wissen, wie es um mich steht … Ich liebe Sie, Käti, liebe Sie so, daß nur Sie mein Schicksal in der Hand halten – das Glück oder … das Verzichten auf ein geliebtes Weib, eine Lebensgefährtin freudiger und trüber Tage …“ Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken. Und doch lag darin soviel ehrliche Innigkeit, daß diese Worte das junge Weib wie der berauschende Duft eines lange gesuchten und nun endlich gefundenen Zaubergartens umwehten … Und kosend fuhr jetzt seine bebende Hand in scheuer Zärtlichkeit über ihr Haar hin.
Eine seltsame Situation war’s. Vor der hohen Männergestalt das knieende Weib, den Kopf tief gesenkt, die Scherben eines Glases zwischen den Fingern haltend. Und diese Gruppe umflossen von dem ungewissen Dämmerlicht des scheidenden Tages, das die Züge so weich erscheinen läßt und den Augen eine leidenschaftliche Tiefe gibt. Von der Straße her das Rauschen der alten Linden, und abgerissene Takte leichter Tanzmusik aus der Ferne …
Selten wohl hat eine Frau ein Liebesgeständnis so hingenommen. Aber Frau Käti berührte gerade dieses Eigenartige ganz besonders. In ihrem durch Enttäuschungen verdüsterten Sinn hatte sich in den letzten Jahren ein Hang zu phantastischem Grübeln ausgebildet, der sie selbst die äußerlichsten Erscheinungen mit ihrem herben Geschick in irgendeine Verbindung bringen ließ. So auch jetzt. Während ihre Nerven unter dem weichen Klange von Benters’ Stimme und der Liebkosung seiner Hände erzitterten und ihr Herz in aufwallender wilder Sehnsucht dem geliebten Manne entgegenschlug, drängte sie alle heißen Regungen mit Gewalt zurück, versenkte sich ganz in den schmerzlichen Gedanken, daß eine höhere Fügung sie in so demütiger Haltung diese Minuten durchleben ließ, die über ihr ferneres Leben entscheiden sollten. Wie eine vom Geschick Gezeichnete, eine Märtyrin, die keinen Anspruch auf Glück mehr hat, kam sie sich jetzt vor mit ihrem von Mißtrauen und schwankenden Empfindungen zerrissenen Herzen, und dieses traurige Sinnen leitete ihr Denken notwendig in jagender Hast zu der Tragik ihres Lebens zurück und erstickte so bald die einsichtsvolle Nachgiebigkeit, zu der sie in mancher stillen Stunde ernster Einkehr gekommen war, und die Benters’ so leidenschaftlich flehenden Worte heute noch vergrößert hatte. Daher fand er in ihrem Gesicht, als sie zu ihm emporschaute, keinen Widerschein des eigenen, mächtigen Glücksgefühls, das in seinen Augen sicherlich eine strahlende Seligkeit aufschimmern ließ, sah nur wieder die fest aufeinander gepreßten Lippen und den halb abwehrenden, melancholischen Blick. Da wußte er, daß er verspielt hatte. Und fast schroff trat er einen Schritt zurück, murmelte eine Entschuldigung – gleichgültige Worte, die die Knieende wie Peitschenhiebe trafen und plötzlich aufrüttelten. Schnell erhob sie sich, ließ die Scherben des Glases dabei achtlos auf den Teppich zurückfallen, stand vor Benters und legte ihre Hand wie beschwörend auf seinen Arm:
„Seien Sie doch gut, lieber Freund, bitte, bitte … Nicht dieses finstere, bitterböse Gesicht, das ich an Ihnen gar nicht gewöhnt bin … Warum mußten Sie nur unser freundschaftliches Verhältnis durch dieses … Geständnis stören, das ich schon einige Male aus Ihren Augen ablas, bisher aber noch immer zur rechten Zeit verhindern konnte. Lassen Sie uns doch weiter so verkehren wie bisher – als zwei Menschen, die aneinander mehr gefunden haben als sonst Mann und Weib in unseren Jahren sich geben wollen – eben ein Verstehen, das keinen Egoismus, aber auch keine gegenseitigen Verpflichtungen kennt …“ Und unter seinem vorwurfsvollen Blick fügte sie, sich abwendend, hinzu – so leise, daß er es kaum verstand:
„Denn mehr als Freundschaft vermag ich Ihnen nicht zu geben – nie. – Damit Sie mich aber nicht falsch beurteilen, damit Sie nicht denken, daß meine … Weigerung sich nur gegen Ihre Person richtet, will ich Ihnen nachher die Geschichte einer unglücklichen Ehe, meiner Ehe, erzählen. Dann werden Sie begreifen, daß eine Frau nach den trüben Erfahrungen auf alles verzichten muß, weil … das Vertrauen zum Aufbau eines treuen Glückes fehlt … Und nun geben Sie mir die Hand, Sie Guter, und vergessen Sie diese Minuten, die hoffentlich keinen Mißklang in unsere Freundschaft hineintragen werden.“
Benters würgte es in der Kehle. Die widerstreitendsten Empfindungen bestürmten ihn … Aber eines rang sich aus ihnen immer deutlicher zutage: die Erkenntnis daß es nach dieser Frau nichts mehr für ihn geben würde – nichts, keine Sehnsucht, keine Hoffnung, keine Enttäuschung. … In diesem Augenblicke fühlte er erst, wie gewaltig die Leidenschaft in ihm gewachsen war. Und seine heißen Lippen preßten sich mit einem halb unterdrückten Wehlaut trostlosen Verzichtens auf ihre Hand.
Eine halbe Stunde später kam Bix, um „Gute Nacht“ zu sagen. Man saß gerade bei offenen Fenstern auf der Veranda, und die stillselige Lisa und Jarotzki hatten fast allein die Kosten der Unterhaltung getragen, da es sowohl Frau Käti wie Benters unmöglich war, nach den vorher durchlebten Minuten sich an einem gleichgültigen, oberflächlichen Gespräch zu beteiligen. – Als die Kleine dann verschwunden war und Lisa die ältere Schwester schmeichelnd bat, ob sie nicht noch mit dem Referendar nur ein, ein einziges Mal durch den Kurgarten gehen könnte, nickte Frau Käti gern Gewährung. Sie sah ein, daß sie und Benters mit ihrer gedrückten Stimmung zu der Herzensseligkeit der beiden anderen wenig paßten, die nach dem, was heute geschehen, wohl den Wunsch haben mochten, mit ihrem jungen Glück auf kurze Zeit allein zu sein. Hatte ihr doch Lisa vorhin in einer Minute des Alleinseins errötend eingestanden, daß sie sich auf dem Nachmittagsspaziergange mit Jarotzki verlobt habe.
„Nach einer halben Stunde erwarte ich Dich aber bestimmt zurück, Lisachen,“ rief die junge Frau ihnen dann noch nach, als sie bereits durch den Vorgarten gingen. „Und Sie, Herr Doktor, sorgen mir bitte dafür …! Außerdem will die Pfirsichbowle auch noch getrunken werden, was ich nicht zu vergessen bitte …!“ –
Ein halbdunkles Zimmer … In einem Sessel zusammengekauert sitzt Benters, hält bewegungslos die längst erloschene Zigarette zwischen den Fingern. Ein Meer von Tönen umrauscht ihn, bald anschwellend zu heller jubelnder Seligkeit, bald verklingend zu sehnsüchtigen, leisen Lauten, die seine Nerven vibrieren lassen und ihm so oft ein heißes Brennen in die Augen treiben … Eine süße, weiche Stimme ist’s – ihre Stimme … Frau Käti singt ihm das Lied „Erwartung“ aus Heidingsfelds Oper „Der neue Dirigent“. Sie spielt auswendig. Kein künstliches Licht stört die träumerische Stimmung dieser Stunde. Durch die Fenster ist die Dunkelheit hereingeschlichen, hüllt die beiden einsamen Menschen wie in einen schützenden Mantel, der milde ihr Herzeleid, ihre weltfremden, versonnenen Züge verdeckt … Dann brechen die Töne plötzlich ab. Noch ein leises Nachklingen einer Diskantsaite wie das Stöhnen eines gequälten Herzens …
Frau Käti hat die Hände im Schoß gefaltet, starrt vor sich hin auf das weiße Notenblatt. Benters sieht die Umrisse des vornübergebeugten Körpers, des trostlos gesenkten Köpfchens. Und in dieser Linienführung liegt wieder die ganze wehe Melancholie, die diese Frau stets umgibt, die ganze Müdigkeit und das Mutlose ihres Denkens. Ihr blasses Gesicht schimmert wie ein heller Fleck aus diesem grauen Nichts. Und seine Phantasie kann sich so genau vorstellen, welcher Ausdruck jetzt wieder um den Mund mit den weichen Lippen ausgeprägt ist. Dann klingt’s wie ein Aufschluchzen durch den Raum, wie ein
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.29,S.3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0011.png&oldid=- (Version vom 23.5.2018)