Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6 | |
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Ja, ja, Käti – leugnen hilft hier nichts mehr …! Und weißt Du, ich habe so eine Ahnung, als ob nicht ich es sein werde, der Dir Deinen früheren Frohsinn und ein großes, großes Glück wiedergibt, sondern ein anderer, … ein ganz anderer! Und der scheint mir energisch genug zu sein, um aus diesem lieben Herzchen all die trüben Gedanken und törichten Vorsätze für immer zu bannen – gelt, Schwesterlein …?“
Doch die schlanke Frau schüttelte mit einer so rührend hilflosen Miene den von reichen, dunkelblonden Flechten gekrönten Kopf, während ihre Augen voll unaussprechlicher Melancholie in das frische, erregte Gesichtchen der Schwester blickten, als ob sie darin der eigenen Jugend glückliche Tage nochmals schauen wollte …
„Du meinst es ja so gut mit mir, Lisachen – das weiß ich! Aber was in mir einst erstarb in den drei Jahren eines qualvollen Dahinvegetierens, erweckt niemand mehr zu neuem Leben. Und wenn ich auch zugeben muß, daß meine Anteilnahme für Assessor Benters über das gewöhnliche Interesse, welches ich stets nur für besondere Charaktere empfunden habe, hinausgeht, so darfst Du dieses Zugeständnis doch nie so auffassen, als ob ich seine Person mit … irgendwelchen sehnsüchtigen Zukunftsgedanken umgeben hätte. Meine Liebesfähigkeit ist tot … Ich möchte ihn als Freund besitzen, dem man sich ganz anvertrauen kann, ohne fürchten zu müssen, daß er einst in einer vielleicht recht stimmungsvollen Stunde vor einem in die Knie sinkt und das …“ Sie wollte sagen „… das alte Märchen von ewiger Liebe und Treue wiederholt,“ unterbrach sich aber plötzlich. – Wozu die eigene Bitterkeit, Zweifelssucht und diesen so weltfremd machenden Unglauben in die Seele dieses kaum erblühten Kindes pflanzen, das mit so vollen Segeln, so siegfrohem Hoffen in das Leben stürmte …? – Und schnell fuhr sie fort, geschickt hinwegleitend über den begonnenen Satz, als ob sie den Faden verloren hatte …
„Denn daß der Assessor eine sehr vornehme, edle Natur ist, habe ich gleich an seinem ganzen Sichgeben gemerkt. Auch in seinen Zügen liegt für mich ein seltsamer Reiz. Wer das Leben mit seinem Auf und Ab kennt, weiß besser darin zu lesen, als alle die, deren ebene Wege nur mit duftenden Blumen bestreut waren. Heute habe ich nun bestätigt gefunden, was ich in ihm vermutete. Selten ist ein Herr, mit dem ich eigentlich doch zum ersten Male eine zwanglose Unterhaltung führen konnte – dieser Besuch der Gerichtskommission vor drei Wochen ist ja nicht zu rechnen – so feinfühlig auf meine Eigenart eingegangen wie Benters, selten hat mir jemand mit so wenigen Worten sein Inneres erschlossen wie er. Wenige Bemerkungen nur waren es, die ihm wahrscheinlich auch noch ganz ungewollt in die Rede flossen, und schon hatte ich das Empfinden, daß manches Gemeinsame in unseren Anschauungen ist und daß wir besonders in unserer Weltfremde verwandte Naturen sind. – Trotzdem möchte ich ihn doch lieber meiden,“ fügte sie zögernd hinzu, da sie wohl merkte, daß sie sich in eine Begeisterung hineingesprochen hatte, die ihrer Schwester nicht entgangen war. „Ich will mir meinen Seelenfrieden bewahren – muß es, da ich auch ihn nur enttäuschen könnte, falls er meine freundschaftlichen Empfindungen jemals falsch deuten und fordern sollte, was ich nicht mehr geben kann – eben … Liebe …“
Und langsam schritt sie Lisa voraus in das Speisezimmer, wo Bix bereits wartend am Tische saß, den silbernen Löffel in der kleinen Faust aufrecht haltend wie ein kampfbereites Schwert. Als die Kleine dann das Tischgebet gesprochen hatte, ruhten ihre Augen mit einem glücklichen, bittenden Ausdruck auf der Mutter ernstem Gesicht.
„Mamachen,“ sagte sie schließlich leise, da die beiden Damen beharrlich schwiegen und nur nachdenklich vor sich hinblickten, „der Onkel hat heute gesagt, daß er morgen wieder an den Strand kommt und mit mir spielen will, und da darf Bix doch auch hingehen, Mamachen, … bitte, bitte …“
Und als ihr die Mutter liebreich zunickte, begann ihr kirschrotes Mäulchen weiterzuplappern. Und immer wieder war’s der neue Onkel, der ihre Gedanken beschäftigte. Fast jedes Wort wiederholte sie, das er zu ihr gesprochen, und ihr Kinderherz konnte sich nicht genug tun, Fritz Benters’ Lob in allen Tonarten zu singen. Frau Kätis melancholische Augen aber wurden immer verträumter. Ein weicher Glanz lag jetzt in ihnen, und um ihren Mund, dessen Lippen sonst so fest so schmerzvoll zusammengepreßt waren, stahl sich des öfteren ein Lächeln wie die heraufziehende Morgenröte eines großen Glückes.
Lisa Döring jubelte innerlich … Und nach Tisch nahm sie Bix auf den Schoß und küßte sie tüchtig ab. Denn daß sie in dem kleinen Nichtchen einen so guten Bundesgenossen finden würde, hatte sie nie gehofft. –
An demselben Tage, an dem das Amtsgericht Stranddorf der Staatsanwaltschaft in Altstadt die Akten über die geschlossene, aber leider ganz ergebnislose Voruntersuchung über den Diebstahl in dem Wernerschen Pensionat zurücksandte, weilten Benters und Jarotzki zum ersten Male als Gäste bei Frau Käti Traut. Man war gerade wieder von einem der längeren Nachmittagsausflüge heimgekehrt, die in den inzwischen verflossenen zwei Wochen zu dem Tagesprogramm der kleinen Gesellschaft gehört hatten und bei denen gewöhnlich der Referendar mit der stets so ausgelassenen Lisa einen recht vergnügten Vortrab bildete, während Benters mit der jungen Frau in ernstem Gespräch, das sich meist um die tiefsten Lebensfragen bewegte, nachfolgte. Und heute hatte es Frau Käti nicht länger umgehen können, die beiden Freunde, die die Damen nach den Spaziergängen stets bis zur Gitterpforte des Vorgartens begleiteten, zu einem einfachen Abendimbiß einzuladen, trotzdem eine gewisse Scheu sie bisher stets davon zurückgehalten hatte. Sie war denn auch bei Tisch merkwürdig still, und Benters versuchte vergeblich, aus den geliebten Zügen den heute wieder so scharf hervortretenden traurigen Ausdruck durch die humorvolle Wiedergabe von allerhand Schnurren und Schwänken aus seiner Studentenzeit zu bannen.
Wie eine schwüle Gewitterstimmung lag’s über der kleinen Gesellschaft, und nur Bixens lustiges Geplauder rief bisweilen ein schnell verklingendes Gelächter hervor.
Nach Tisch verschwanden Lisa und Jarotzki beinahe mit auffallender Hast und nahmen auch Bix mit auf die Veranda. Benters war mit Frau Käti allein. Jetzt erst kam er auf sie zu, streckte ihr die Hand entgegen, um ihr gesegnete Mahlzeit zu wünschen. Und tief beugte er sich über ihre Hand, drückte einen langen Kuß auf die weiche Haut, die einen kaum merklichen Duft von Eau d’Espagne ausströmte. Ein paar schwermütige Augen schauten dabei mit einem Ausdruck tiefer Zärtlichkeit auf Benters leichtgewelltes Haar, und das leise Zittern seiner Fingerspitzen, das eine so tiefe Erregung verriet, pflanzte sich unwillkürlich fort auf die schlanke Frauengestalt. Doch dieser Anfall von hilfloser, sehnsüchtiger Schwäche dauerte bei ihr nur einen Augenblick. Als Benters sich jetzt aufrichtete, waren ihre Augen geschlossen, und der Zug trostlosen Entsagens lagerte wieder wie eine düstere Wolke auf dem feinen, so seltsam anziehenden Antlitz.
Enttäuscht, halb verwirrt, ließ Benters ihre Hand fahren, trat zurück an das offenstehende Fenster und lehnte sich schweratmend gegen das Fensterkreuz. Eine Flut von Gedanken stürmte auf ihn ein, Gedanken, die er schon oft erwogen und aus denen er bisher keinen Ausweg gefunden hatte … Bisweilen wollte es ihm ja scheinen, als ob der Geliebten stets gleichbleibende Freundlichkeit gegen ihn nichts war als eine Maske, hinter der sich wärmere Gefühle verbargen. Dann aber gab es wieder Tage, an denen sie ihm mit einer so fühlbaren Absichtlichkeit jedes vertraute, herzlichere Wort abschnitt – und das in einer Weise, die jeden anderen Mann vielleicht verletzt haben würde. Aber Benters war sich über eins schon längst klar geworden: In Frau Kätis Leben gab es irgendein Ereignis, das ihr ganzes Empfindungsleben nicht nur nachteilig beeinflußt, sondern sie auch überaus vorsichtig im Verkehr mit dem anderen Geschlecht gemacht hatte. Gewiß – er suchte oft genug diese schweigsamen Lippen zu einer offenen Aussprache zu drängen, war ihr dabei in seiner zartfühlenden Art zu Hülfe gekommen, wobei er die eigenen trüben Erfahrungen vorsichtig erwähnte und so leichter ihr Vertrauen zu erringen hoffte. Aber ihr Mund blieb stumm … Und so wußte Benters bis heute nicht, wie dieser stille Kampf zwischen ihnen enden würde. Denn ein Kampf war’s zwischen des jungen Weibes scheuer, vorsichtiger Zurückhaltung und des Mannes stetem, innigem Werben …
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.29,S.2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0010.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)