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Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6

Eine Detektiv- und Herzensgeschichte von Walther Kabel.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)

Frau Traut gab mir vielmehr auf meine Fragen mit einer Ruhe Auskunft, die mich direkt überraschte, ereiferte sich nur, als ich dann über die Kinderfrau nähere Angaben verlangte. Ich begreife das nicht so recht, habe mir darüber auch schon meine besonderen Gedanken gemacht. Es ist ja oft genug vorgekommen, daß ein Diebstahl aus irgendwelchen Gründen nur vorgeschützt wurde!“

„Wie, Sie nehmen doch nicht etwa an, daß man die Geschichte nur erfunden hat …?“ fuhr Benters fast erschreckt auf.

„Es sind schon ganz andere Dinge passiert, Herr Assessor,“ meinte Lenz achselzuckend. „Ich will ja nichts Bestimmtes behaupten … Doch diese Gleichgültigkeit gibt immerhin zu denken.“

„Aber das Motiv zu einer solchen Handlungsweise, Herr Kommissar – das Motiv …? Wie soll man sich das nur herauskonstruieren …?“

„Ja, wenn wir darüber Klarheit hatten, Herr Assessor, dann wäre das Weitere ein Kinderspiel!“ meinte Lenz mit einem Selbstbewußtsein, das Jarotzki ein leises Lächeln entlockte. Benters hatte unmutig die Stirn gekraust.

„Alles nur Mutmaßungen mit denen wir kein Schritt vorwärtskommen. Nun, ich werde ja am Mittwoch Gelegenheit haben, mir selbst ein Urteil über die Dame zu bilden. Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihren Bericht, Herr Kommissar. Und übermorgen dann also auf Wiedersehen!“

Als die Freunde nun dem Strande zu schritten, mußte Jarotzki es sich gefallen lassen, daß der Assessor ihm eine ganz geharnischte Moralpredigt hielt.

„Ich finde Ihr Benehmen direkt heimtückisch!“ meinte Benters scheinbar tief empört. „Wir stehen und doch wohl nahe genug, um uns gegenseitig mit Vertrauen zu begegnen und unser freundschaftliches Verhältnis nicht durch eine Geheimniskrämerei zu stören, die, sobald ein Weib im Spiel ist, uns nur zu leicht auseinanderbringen kann. Unglaublich! – Nimmt dieser junge Herr da sogar die Hilfe der Polizei in Anspruch, um herauszubringen, wer die heimlich Angebetete eigentlich ist.“ – Und nach kurzer Pause fuhr er etwas unsicher fort: „Jedenfalls müssen Sie mich aber jetzt in Ihre Herzensgeheimnisse einweihen, lieber Jarotzki. Meine freundschaftliche Anteilnahme für Ihre Person läßt Sie die etwas indiskrete Frage hoffentlich richtig verstehen …“ – Dieser Nachsatz klang ganz gegen Benters sonst so offene Art derart gekünstelt und verlegen, daß der Referendar nach einem schnellen Blick in des Freundes halb zur Seite gewandtes Gesicht seine Hand auf dessen Arm legte, stehen blieb und mit leiser Ironie sagte:

„Benters, Sie sollten sich auf solche diplomatischen Kunststücke lieber nicht einlassen. Seien Sie doch ehrlich! Sie fürchten ja nur, daß der Magnet, der mich hier nach dem Strande zieht, dieselbe Dame in Schwarz sein könnte, für die Sie doch zweifellos ein mehr wie nur oberflächliches Interesse haben. – Stimmts …?

Der Assessor zeigte auch nicht die geringste Verlegenheit. Nur sein Gesicht war plötzlich wieder sehr ernst geworden. Und wie er jetzt an Jarotzki vorbei auf die leuchtenden Streifen schaute, welche die Sonnenstrahlen auf die von einer trägen Dünung leicht bewegte See zeichneten, prägten sich um seinen fein gezeichneten Mund zwei scharfe Falten aus, und in die dunklen Augen trat wieder jener Ausdruck müden Entsagens, den der Referendar darin schon so oft beobachtet hatte.

„Es ist gut, das Sie eben so offen zu mir waren,“ erwiderte er trübe. Und nach einer Pause: „Sie haben mich noch zur Zeit geweckt.“

Etwas unsicher sah Jarotzki ihn daraufhin an. Er verstand diese letzte Äußerung nicht.

„Verlangen Sie jetzt keine Erklärung von mir,“ meinte Benters entschuldigend und ging langsam weiter. „Ich würde Ihnen und mir nur die Stimmung verderben. Vielleicht nach Tisch, wo die Trägheit und Ruhebedürftigkeit des Körpers mich weniger empfänglich für Gemütserregungen macht. Ich wollte Ihnen schon längst einmal einen tiefen Einblick in mein Seelenleben gewähren, damit Sie mich ganz verstehen. Sie haben’s ja um mich verdient, waren der einzige, der den … hochmütigen Benters nicht mied …“ Er lachte bitter auf. „Wenn die Leute nur wüsten, was ich so seit Jahren mit mir herumtrage! Man würde dann milder urteilen!“ –

Vor ihnen, kaum zehn Schritte entfernt, stand jetzt der Strandkorb, von dessen grauer Rückwand ihnen die mit schwarzer Ölfarbe ausgemalte Zahl 72 entgegenleuchtete. In großem Bogen wichen sie ihm aus, und der Assessor suchte auch nicht einmal durch einen flüchtigen Blick festzustellen, ob er besetzt war. Schweigend schritt Jarotzki neben ihm her. Er wußte nicht, was er dem Freunde auf diese Äußerung, die ein so tiefes seelisches Niedergedrücktsein verriet, antworten sollte. Außerdem wurden seine Gedanken auch durch etwas anderes abgelenkt. Zu seiner nicht geringen Enttäuschung bemerkte er, daß Bixens Mama und Tantchen nirgends zu entdecken waren. Nur das blonde Mädelchen selbst saß artig neben einer alten, schlicht gekleideten Frau mit grauem Scheitel und gutmütigem, vertrauenerweckendem Antlitz in einer der zahlreichen Gruben und stellte mit Hilfe von kleinen Holzformen graue Sandkuchen her, die es wie die Figuren eines Schachbrettes nebeneinander reihte.

„Was meinen Sie dazu, Benters,“ begann der Referendar zögernd, „wenn wir einmal versuchen würden, die Bekanntschaft der alten Kinderfrau zu machen? Vielleicht erfahren wir von ihr noch nähere Einzelheiten über den geheimnisvollen Diebstahl, die man bei einer gerichtlichen Vernehmung aus den meist recht ängstlichen und befangenen Leuten nie so leicht herausbekommt.“

Der Assessor sträubte sich erst etwas, ließ sich dann aber doch herbei, den Referendar zu begleiten, der sich nun vorsichtig näher schlängelte und mit seiner liebenswürdigen Unverfrorenheit auch bald die arglose Frau Müller in ein Gespräch zu ziehen wußte, indem er sich zunächst höchst raffiniert erkundigte, wem denn das süße, liebe Kind gehöre, und mit diesem „süß“ und „lieb“ derart gewandt operierte, daß schon die Eitelkeit allein die in ihren Schützling ganz vernarrte Alte schnell mitteilsam machte. Schließlich nahmen die beiden Freunde sogar neben Bix in der Grube Platz. Und merkwürdigerweise gelang es dem sonst so schwer zugänglichen und wortkargen Assessor überraschend schnell, die anfängliche Scheu des kleinen Mädchens, das sich übrigens auf Befragen wirklich als Beatrix Traut vorstellte, zu überwinden, wobei er sich plötzlich auch als ein wahres Genie im Erfinden von immer neuen Pyramiden entpuppte, die er für Bix aus dem feuchten, am Boden der Grube befindlichen Sande formte. Und ebenso gut verstand er es, auf das kindliche Geplapper der Kleinen einzugehen, und ganz herzlich klang sein Lachen, wenn das Mädelchen jubelnd die Händchen zusammenschlug, sobald ein besonders hoher Turm plötzlich in Wanken geriet und lautlos in sich zusammenstürzte. – Inzwischen unterhielt Jarotzki sich eifrig mit der Kinderfrau, die ahnungslos dem ganz planmäßig vergehenden Referendar alle Fragen beantwortete und ihm so über vieles Aufschluß gab, was er vorher noch nicht gewußt hatte und für den ihn schon jetzt eifrig beschäftigenden Kriminalfall von großem Wert war.

Als Frau Müller dann aufbrechen mußte, um zur Tischzeit zu Hause zu sein, ließen die beiden es sich nicht nehmen, die neugewonnene kleine Freundin noch ein Stück zu begleiten. Und stolz schritt Bix zwischen den beiden Herren dahin, von denen jeder eine der kleinen, braungebrannten Händchen hielt und die in fröhlichster Stimmung mit ihr scherzten und die Kleine immer aufs neue zu ihren drolligen Bemerkungen reizten. Und auch der Abschied von Bix war ein überaus herzlicher. Besonders den Assessor schien sie schon fest in ihr Herzchen eingeschlossen zu haben. Er mußte ihr ganz fest versprechen, morgen wieder an den Strand zu kommen.

„Onkel, ich bring’ dann meine[1] Schippe mit, und Du gräbst mir eine feine Burg, mit einem tiefen, so tiefen Graben. Und Mamchen kauft wir eine bunte Fahne, wie die großen Jungens sie haben. Die steckst Du oben ein, Onkel, nicht? Und dann wohnen wir in der Burg …“ Und die lieben Kinderaugen schauten Benters so rührend bittend an.

„Wenn’s Deine Mama erlaubt – ich möchte schon gerne mit Dir spielen, Kleinchen,“ sagte er weich und drückte die warme Kinderhand zärtlich.

„O, Mamchen ist ja so gut, Onkel, so gut! Sie erlaubt es sicher …“ Und dann schein plötzlich ein neuer Gedanke in ihrem Köpfchen aufzublitzen. Sie blickte den Assessor so seltsam prüfend von oben bis unten an, und dabei wich dieser kindlich unbefangene Ausdruck aus ihrem frischen Gesichtchen, und ein nachdenklicher, fast altkluger Zug prägte sich darin aus. Und


  1. Vorlage: mein
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.28,S.2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0006.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)