Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6 | |
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und Ermittelungen in den ziemlich zahlreichen Untersuchungssachen ganz selbständig ausführen und bearbeitete selbst nur die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die ebenfalls zu seinem Dezernat gehörten.
„Also gibt’s für mich zu tun?“ fragte Jarotzki jetzt etwas erstaunt, da er es als einen Eingriff in seine Rechte ansah, daß Benters so über seinen Kopf hinweg bereits in der Sache verfügt hatte.
„Aussichtslose Geschichte!“ meinte dieser achselzuckend. „Sie können sich’s ja am Nachmittag durchlesen. Ich habe Ihnen nur die Sache erleichtert und schon bestimmt, daß übermorgen der Lokaltermin abgehalten wird. Um den kommen wir nämlich nicht herum!“
Der Referendar begriff. Hätte er die bisherigen polizeilichen Vernehmungen noch durchgeflogen, so wären vielleicht zehn Minuten draufgegangen[1]! Und die schienen für Benters Ungeduld – Jarotzki dachte fein lächelnd „Sehnsucht“ – ein unerträglich langer Zeitraum zu sein, wofür auch der Umstand sprach, daß der Assessor jetzt mit seltener Hast zum Aufbruch mahnte, wobei er einige verschleierte Bemerkungen über drückende Schwüle im Zimmer Kopfschmerzen usw. einflocht, die jedoch das verständnisinnige Lächeln in Jarotzkis reichlich zerhauenem Gesicht nur noch verstärkten. – Wenige Minuten später verließen die beiden dann das Gerichtsgebäude und bogen in die Seestraße ein, um geraden Wegs an den Strand zu gelangen. Doch ein mißgünstiges Geschick sollte ihnen hier ein neues Hindernis in der Person des Polizeikommissars von Stranddorf entgegenführen. Benters ahnte schon nichts Gutes, als der kleine korpulente Herr Lenz, der in seiner prallsitzenden Uniform mit dem bärbeißigen Gesichtsausdruck stets so unwiderstehlich komisch wirkte, plötzlich vor ihnen auftauchte und sofort auf sie zusteuerte.
„Gut, daß ich Sie noch treffe, Herr Assessor,“ begann er atemlos und stellte sich ihnen in seiner ganzen Breite in den Weg. „Ich wollte eben auf Ihr Bureau kommen und mit Ihnen über den Diebstahl in dem Wernerschen Pensionat Rücksprache nehmen. Der Herr Bürgermeister schickt mich und läßt bitten, daß die Untersuchung doch recht beschleunigt und auch unauffällig geführt wird, da es für uns sehr unangenehm wäre, wenn noch mehr von dieser rätselhaften Geschichte in die Öffentlichkeit dringen würde. Wir hier als Badeort müssen ja alles vermeiden, was das Publikum auch nur im geringsten beunruhigen könnte. Es gibt so viel ängstliche Damen, die gleich alles mögliche auch für ihre Person fürchten, und ein derartiges Gerücht verbreitet sich ja immer wie ein Lauffeuer, wird natürlich aufgebauscht und nachher heißt’s schließlich, daß es hier in Stranddorf mit der Sicherheit nicht weit her ist. Und wie schadet das der Frequenz, Herr Assessor – Sie glauben ja gar nicht, wie sehr!“ meinte der kleine Herr ganz gedrückt. „Und mir ladet man dann die Verantwortung auf – mir allein! Als wenn ich überall sein könnte?!“ Und der Kommissar zog sein sonnverbranntes Gesicht in den kläglichsten Falten.
Benters wollte den Störenfried schnell abfertigen.
„Ich habe bereits für Mittwoch vormittag eine Besichtigung des Hauses angeordnet, Herr Kommissar,“ sagte er ziemlich kurz. „Weiter kann ich in der Sache vorläufig nichts tun. Und vielleicht finden Sie sich um zwölf Uhr dann auch in dem Wernerschen Pensionat ein.“
Doch Lenz ließ sich nicht so leicht abschütteln.
„Gewiß, ich werde kommen,“ meinte er eifrig. Dann schien er einen Augenblick zu überlegen und wandte sich plötzlich an Jarotzki, der bisher den andächtigen Zuhörer gespielt und sich innerlich köstlich darüber gefreut hatte, wie Benters offensichtlich den braven dicken Herrn mit seinem Diebstahl zu allen Teufeln wünschte.
„Herr Doktor,“ sagte er mit vertraulichem Lächeln und zwinkerte dem Referendar dabei verständnisinnig zu, „heute kann ich Ihnen nun auch endlich die Auskunft geben, die Sie letztens von mir erbaten. Sie erkundigten sich doch nach zwei Damen, nicht wahr? – Erinnern Sie sich nur! Die eine sollte schlank, groß, stets schwarz gekleidet sein, und die andere, die jüngere …“
„Ja, ja, ich besinne mich schon!“ unterbrach ihn Jarotzki hastig und merklich verlegen. „Aber so wichtig ist mir das wirklich nicht … Vielleicht sprechen wir ein andermal darüber. Ich habe wenig Zeit.“ Er hatte aber doch einen roten Kopf bekommen und suchte diese ihm höchst unangenehme Geschichte jetzt schnell zu vertuschen, damit nur Benters nicht aufmerksam wurde. Für diesen schien der Strand plötzlich alle Anziehungskraft verloren zu haben. Und mit deutlichem Spott sagte er jetzt zu dem Referendar, der vergebens dem etwas schwerfälligen Herrn Lenz einen heimlichen Wink zu geben versuchte …
„Sehen Sie einmal an, Sie alter Sünder! Also auf solchen Schleichwegen muß man Sie ertappen …! – Nun, zur Strafe erzählen Sie uns jetzt gerade, was der Doktor von Ihnen gewollt hat,“ richtete er das Wort wieder an den Kommissar, der nun – leider zu spät! – merkte, daß er mit dem Berühren dieser delikaten Angelegenheit arg hereingefallen war und allerhand Ausflüchte gebrauchte, die Benters Neugierde aber nur noch erhöhten. – Schließlich mischte sich der Referendar selbst ein.
„Sagen Sie’s bloß schon!“ sagte er ärgerlich. „Sie sehen ja – der Assessor läßt ja doch nicht locker!“
„Nehmen Sie’s mir nur nicht übel, Herr Doktor, daß ich diese unsere Privatangelegenheit erwähnt habe,“ meinte der Beamte ganz zerknirscht. „Ich hätte ja auch nie davon angefangen, wenn nicht Ihre Beschreibung von den beiden Damen und dem kleinen blonden Mädchen so ganz genau auf jene Mietpartie des Wernerschen Pensionats passen würde, bei der der Diebstahl verübt ist. Gerade der Dame in Schwarz, der Frau Traut, sind ja die Schmucksachen gestohlen worden.“
Der Kommissar konnte nicht völlig ahnen, was er mit dieser in so entschuldigendem Tone vorgebrachten Eröffnung angerichtet hatte. Jarotzki blickte schuldbewußt zu Boden. Nun war es ja heraus, wie sehr auch er sich für den Strandkorb Nr. 72 interessierte, und sein so sorgfältig bewahrtes Geheimnis verraten. Und Benters brach jetzt plötzlich in ein so herzliches Gelächter aus, daß Lenz ihn ganz verdutzt anschaute. Das war er von dem stets so gemessenen und ernsten Assessor gar nicht gewöhnt! Er beruhigte sich aber schnell, als nun auch des Referendars noch eben stark verstimmtes Gesicht sich glättete, dieser ihm die Hand hinstreckte und anscheinend wieder bester Laune sagte:
„Keine Sorge, Herr Kommissar! Von Übelnehmen ist nicht die Rede. Im Gegenteil! Wir beide sind Ihnen gleichmäßig zu Dank verpflichtet, da Sie uns durch Ihre weiteren Angaben über die Person der geschädigten Dame die Untersuchung sehr erleichtern. Man kann sich dann doch schon vor der Lokalbesichtigung ein ungefähres Bild von den Verhältnissen machen und entgeht so am Mittwoch einer zeitraubenden Ausfragerei. Wenn’s Ihnen recht ist, begleiten Sie uns ein Stück und berichten das Nötige.“
Benters konnte zu dieser diplomatischen Äußerung des wirklich mit allen Hunden gehetzten Freundes nur bedenklich den Kopf schütteln, verlor aber dann auch nicht ein einziges Wort von dem, was Lenz ihnen jetzt erzählte, während sie langsam unter den grünen Linden der Promenade dahinschlenderten. – Frau Käti Traut war die Witwe eines Regierungsbaumeisters und das blonde Kind ihr einziges Töchterlein, das blieb für Benters vorläufig die Hauptsache. Ob ihre Schwester, jenes junge Mädchen mit den übermütigen Augen, Elisabeth Döring hieß und die jüngere Tochter des Baurats Döring war, interessierte ihn schon bedeutend weniger. Dafür nahmen aber die Einzelheiten des Diebstahls wieder seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. – Der Fall lag wirklich sehr merkwürdig, bot nach der Schilderung des Kommissars auch nicht den geringsten Angriffspunkt, von dem aus man hätte weiter operieren können. Genau vor einer Woche, am Abend des letzten Montags, war Frau Traut gegen 10 Uhr abends mit ihrer Schwester aus dem Kurgarten nach Hause gekommen und hatte auf der geschlossenen Glasveranda, die zu ihrer aus drei Zimmern bestehenden und in der ersten Etage gelegenen Wohnung gehörte, ihre Ringe, darunter zwei kostbare Brilliant- und die beiden glatten Eheringe, Armbänder, Uhr und Kette in ein kleines Körbchen gelegt, daß auf einem Tischchen dicht neben dem offenen Fenster stand, wie sie dies aus alter Gewohnheit stets zu tun pflegte, bevor sie sich an den Flügel setzte, um den Rest des Tages ihren Gesangsstudien zu widmen. Als sie dann nach einer halben Stunde ihre Schmucksachen mit in das Schlafzimmer nehmen wollte, war das Körbchen mit seinem wertvollen Inhalt spurlos verschwunden und auch trotz des eifrigsten Suchens nicht wiederzufinden. Am nächsten Morgen erstattete sie Anzeige bei der Polizei. Doch die sofort aufgenommenen Nachforschungen hatten keinen Erfolg. Es wurde nur festgestellt, daß die Flurtür auch an jenem Abend verschlossen und außerdem noch mit einer Sicherheitskette verwahrt gewesen war, so daß der Dieb unmöglich durch das Haus in die Wohnung eingedrungen sein konnte, da diese nur den einen Eingang von der Haupttreppe aus besaß. Und da die nach der Straße hin gelegene Veranda mit ihren glatten Pfeilern nicht die geringsten Einschnitte oder
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Walther Kabel: Bix. In: Von Nah und Fern. Illustriertes aktuelles Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beilage zur Lienzer Zeitung. Heft 27 S.1–4, Heft 28 S.2–5, Heft 29 S.2–5, Heft 30 S.1–5, Heft 31 S.6. Georg E. Nagel in Berlin-Schöneberg, Lienz 1913, Seite Nr.27,S.3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bix_0003.png&oldid=- (Version vom 5.9.2019)