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Sanct Martin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
(Weitergeleitet von Sankt Martin)
Textdaten
Autor: Ignaz Franz Castelli
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Titel: Sanct Martin
Untertitel:
aus: J. F. Castelli's sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, in strenger Auswahl. Drittes Bändchen. Gedichte. Seite 52-54
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1844
Verlag:
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Ant. Pichler's sel. Witwe, Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Bild
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               [52] Sanct Martin.
                    (Legende.)

Sankt Martin mit viel Rittersleut’
Wohl über’s Feld zum Jagen reit’t,
Und als sie kamen an einen Hag,
Ein nackter Mann an der Straße lag,

5
Dem klapperten vor Frost die Zähne,

Und an der Wimper fror ihm die Thräne;
Er rang die Hände und bat mit Beben,
Sie möchten ihm ein Almosen geben,
Und alle die Ritter die zogen fürbas,

10
Den nackten Armen gab Keiner was.


Sie wendeten von ihm das Angesicht,
Die Jammergestalt zu schauen nicht;
Der Martin aber sein Roß hielt an:
„Von mir, du Armer, sollst was ha’n!“

15
Er nimmt sein Schwert und alsogleich

Haut er seinen Mantel — gesticket reich
Mit Gold und Silber — entzwei in Eil
Und gibt dem Nackten den einen Theil,
[53] Die and’re Hälft’ er selber behalt’t,

20
Und reitet den Andern nach in den Wald.


Und wie den Martinus erblickte die Rott’,
Überhäuften sie ihn mit Hohn und Spott:
„Da seht nur einmal den Narren an,
Er theilt sein Kleid mit dem Bettelmann;

25
Der halbe Mantel steht ihm gar schön,

Er kann damit zum Pankette gehn,
Damit ihn künftig mag Jeder erkennen,
So woll’n wir den halben Ritter ihn nennen.“
Sie lachten und witzelten noch gar viel,

30
Martinus war all ihres Spottes Ziel.


Doch wie der Abend zu dämmern beginnt,
So wehet ein kalter, schneidender Wind,
Die Ritter hüllten sich alle fein
In ihre großen Mäntel ein,

35
Und wollten reiten sogleich von hinnen,

Doch konnten sie keinen Ausweg gewinnen,
Nur immer tiefer kamen s’ in Wald,
Und pfiff der Wind noch einmal so kalt;
Sie jammerten sehr und vermeinten schier

40
Sie müßten vor Kälte heut sterben hier.

Martinus nur mit dem halben Kleid
Empfindet’s nicht, daß der Wind so schneid’t,
Er lächelt über ihr Schnappern und Bangen
Und sitzt auf dem Roß mit glühenden Wangen.

45
[54] Und jetzo ein rosenfarbiges Licht

Hervor aus der dunkelen Wildniß bricht,
Und unter die Starrenden tritt heran
Herr Christ, mit dem halben Kleid angethan,
Das jenem Armen Martinus gegeben,

50
Und um ihn herum seine Engelein schweben.

Und Jesus sich zu Martino wendet:
„Ja wahrlich, was ihr den Armen spendet,
Das habet ihr mir selber gegeben,
Und Früchte tragt’s euch im Tod und im Leben;

55
Jedwede Wohlthat, noch so klein,

Wird euch erwärmen und lohnend seyn.“

Sie fielen all auf ihr Angesicht
Und Jesus verschwand — doch des Glaubens Licht
Es leuchtete über dem heidnischen Haufen;

60
Sie ließen sich alle zu Christen taufen.