Zum Inhalt springen

RE:Εἰρηνάρχαι

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
(Weitergeleitet von RE:Eirenarchai)
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Eirenarchai, Polizeioffiziere des römischen Kleinasiens und Ägyptens
Band S III (1918) S. 419423
Bildergalerie im Original
Register S III Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|S III|419|423|Εἰρηνάρχαι|[[REAutor]]|RE:Εἰρηνάρχαι}}        

Εἰρηνάρχαι sind Polizeioffiziere, die ausschließlich in der römischen Kaiserzeit und fast nur in Kleinasien und Ägypten vorkommen. Sie sind scheinbar eine freie Schöpfung der Römer; doch ist Anlehnung an ältere, hellenistische Einrichtungen wohl denkbar, sogar wahrscheinlich, nur nicht sicher zu erweisen, auch in Ägypten nicht, wo wir schon in der Ptolemäerzeit einer ausgebildeten Landpolizei begegnen, vgl. Hohlwein La police des villages égyptiens, Mus. Belge IX 187f. 394f. J. Lesquier Institut. milit. de l’ Égypte sous les Lagides (1911) 260ff. und Theokrit. XV 46ff. bei O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1892, 823, 5 (= Kleine Schriften 622, 3). Das charakteristische Gendarmeriekorps der Ptolemäerzeit sind die φυλακῖται. Diese kommen nur noch unter den ersten römischen Kaisern vor (Wilcken Pap. Chrest. Ι 1, 413); aber sonst begegnen wir in der Kaiserzeit in den ägyptischen Städten und Dörfern, besonders in den letztern, lokalen Polizeiorganen in einer Mannigfaltigkeit, wie sie der Ptolemäerzeit noch fremd war (Wilcken a. a. O. 414). Besonders charakteristisch ist die in einem Papyrus der Pariser National-Bibliothek aus den Achmîm-Papyri erhaltene liturgische Vorschlagsliste für Polizeibeamte aus dem panopolitischen Gau (νομὸς Πανοπολίτης. Achmîm = Panopolis), die O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1892, 817ff. (= Kl. Schr. 615ff.) nach der Lesung Wesselys mitgeteilt hat und Wilcken bei Hirschfeld 817, 1 (= Kl. Schr. 616, 1) ins 5. Jahr des Septimius Severus (196/7 n. Chr.) setzt. Jetzt auch bei Preisigke Sammelbuch griech. Urk. aus Ägypten n. 4636. Da erscheinen für die Dörfer (κῶμαι) folgende Polizeiorgane, alles liturgische Ämter: εἰρηνοφύλακες, ἐπὶ τῆς εἰρήνης, εἰρηνάρχαι, ἀρχινυκτοφύλακες, ἀρχιφύλακες, πεδιοφύλακες, ὀρεοφύλακες ὁδοῦ Ὀάσεως;. Weitere Polizeiorgane, die an andern Stellen genannt sind, sind die (φυλακῖται, παραφυλακῖται, νυκτοστράτηγοι, στρατηγοὶ ἐπὶ τῆς χώρας, ἐρημοφύλακες (Wüstenpolizei) u. a. Eine scharfe Scheidung der Ressorts und Kompetenzen dieser Polizeiorgane ist, soweit sie sich nicht aus dem Amtstitel selbst ergibt, noch nicht möglich. Übrigens wurde trotz der großen Zahl von Namen von Polizeibeamten in der römischen Kaiserzeit für die Sicherheit der Provinzen in höchst unvollkommener Weise teils durch den Statthalter mit den ihm zur Verfügung stehenden Soldaten, teils von den einer solchen Aufgabe durchaus nicht gewachsenen Kommunen gesorgt (Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1891, 877 = Kl. Schr. 612).

Eἰ. ägyptischer Dörfer, die aber Staatsbeamte sind, begegnen uns in Papyrusurkunden nicht selten, doch mögen ein paar Belege genügen: εἰρήναρχος τῆς κώμης Ἑρμοῦ πόλεως, P. Genf 47, 11; εἰρήναρχος der κόμη Καρανίς ebd. 54, 22; εἰrhnarxhw κ[ώ]μης Φιλαδελφίας BGU 899, 5 (4. Jhdt.?); P. Amherst II 139, 3 (350 n. Chr.); auch wohl der ἠρηνάρχης BGU 1044, 9 (4. Jhdt. n. Chr.), während sich die Natur des εἰrhnarxhw BGU 151, 4 aus christlicher und BGU 546, 2 aus [420] byzantinischer Zeit nicht genauer bestimmen läßt.

Von den εἰ. der Dörfer sind, wie zuerst Preisigke P. Straßb. I S. 22 Anm. 1 sah, diejenigen εἰ. zu scheiden, deren Kompetenz den ganzen Gau umfaßte und die ihren Amtssitz in den Städten, den sog. Metropolen, hatten; s. Wilcken a. a. O. 414. So haben wir P. Oxy. I 80, 7 (aus der Zeit Gordians) zwei εἰ. Ὀξ(υρυγχίτου) sc. ωομοῦ, die für die öffentliche Sicherheit des ganzen Gaues zu sorgen haben. Für die hohe Stellung dieser Gau-E. spricht, worauf Wilcken Pap. Chrest. I 473 aufmerksam gemacht hat, daß der eine von ihnen gleichzeitig Prytanis ist, wodurch jedoch sein Charakter als Staatsbeamter nicht berührt wird (Preisigke Stadt. Beamtenwesen im röm. Ägypten [Halle 1903] 24 und 49). Daß auch der εἰρήναρχος P. Reinach 58, 4 als Gau-E. zu fassen sei, bezweifle ich, da die Gau-E., wie es scheint, immer in der Mehrzahl erscheinen. Überhaupt erscheinen in der Urkunde von Panopolis die oben erwähnten Friedensbeamten sämtlich in der Mehrzahl, während die gleich zu besprechende E. der kleinasiatischen Städte nicht kollegialisch organisiert gewesen zu sein scheint (Hirschfeld a. a. O. 1892, 822 = Kl. Schr. 621). Mindestens zwei εἰ., die dem στρατηγός unterstellt sind, sorgen für die Sicherheit auf den Landstraßen P. Oxy. I 118, 14 (spätes 3. Jhdt).

Während uns die ägyptischen εἰ. erst seit etwa zwanzig Jahren bekannt sind, gab es schon früher über die kleinasiatische Eirenarchie ein reiches Material, das u. a. schon in der vortrefflichen Monographie von Chr. Gottl. Schwarz De irenarchia (Altorf 1743) verarbeitet ist. Seither sind namentlich noch zahlreiche inschriftliche Belege hinzugekommen.

Die E. ist eine λειτουργία, ein liturgisches Gemeindeamt, zu dessen Bekleidung ein gewisses Vermögen und ein gewisser Rang innerhalb der Gemeinde nötig war (Dig. I 4, 18, 7), dem sich aber niemand ohne triftigen Grund entziehen durfte. Die kleinasiatischen Städte, in denen die E. eingerichtet war, mußten nach dem Berichte des Rhetors Aristeides vom J. 153/4 (I 523 Dind. = II 443, 17 Keil) zu dieser Zeit alljährlich dem Proconsul eine Liste von zehn Namen der vornehmsten Bürger, gewöhnlich der δεκάπρωτοι, decemprimi (s. o. Bd IV S. 2254), einreichen. Aus diesen wählte der Statthalter die für das Amt ihm geeignet Scheinenden als εἰ. aus. Die Gemeinden, die nicht mehr autonom sind (vgl. Swoboda-Hermann Griech. Staatsalt.6 I 3, 179). haben bloß das Vorschlagsrecht, während die Wahl dem Statthalter zusteht (Aristeid. ἱερῶν λόγος d. 523 Dind.). Daß im allgemeinen nur Freie das Amt des E. bekleiden durften, ergibt sich aus dem Vorstehenden von selber. Ganz vereinzelt ist der Fall, daß ein kaiserlicher Sklave, Κοσμίων κυρίου Καίσαρος οὐέρνάς als εἰρηνάρχης erscheint in einer Inschrift aus Eldesch in Phrygien bei Anderson Journ. Hell. Stud. XVIII (1898) 123 n. 70 (= Dittenberger Or. Gr. 550), doch wird er, wie schon der Herausgeber bemerkte, nicht städtischer E. gewesen sein, sondern bloß über die kaiserliche Domäne, die er verwaltete. Die E. war, wie es scheint, ein jähriges Amt. Eine Wiederwahl entweder gleich nach Schluß des Amtsjahres oder nach einer Unterbrechung [423] war zulässig, wie u. a. der τρὶς εἰρνάρχης Le Bas-Waddington 1723a (Curtius Herm. VII 42) beweist. Daß es möglich war, einen E. abzuberufen, ergibt sich aus Liban. ep. 101 und 446.

Die älteste Inschrift, die einen εἰρηνάρχης nennt, stammt aus Sebastopolis in Karien und gehört in die Zeit Traians, Bull. hell. IX (1885) 347 von 116 oder 117 n. Chr. Es ist aber ganz wohl möglich, daß auch in Kleinasien die Einrichtung schon älter ist (Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1891, 868, 119 = Kl. Schr. 602, 1). Jedenfalls waren die διωγμῖται, die dem el. εἰ. gegebenen berittenen Polizeisoldaten, bereits in den hellenistischen Reichen vorhanden, was o. Bd. V S. 784 nachgetragen zu werden verdient. Das älteste Beispiel eines Diogmiten aus römischer Zeit bietet der diogmita eques duplicarius CIL III 14 16514 (= Bull. hell. XXVI [1902] 161 nr. 2) aus der Zeit des Tiberius; vgl. v. Domaszewski Rh. Mus. LXVII (1912) 152.

Die Funktionen der E. lehren uns außer zahlreichen, aber nicht eben ergiebigen Inschriften vor allem eine Anzahl Stellen des Corpus Iuris und der Märtyrerakten kennen. Als Polizeioffiziere sind sie betraut mit der Überwachung nicht bloß der Stadt, aus deren Bürgern sie gewählt sind, sondern des ganzen Territoriums, Cod. Iust. X 75: per singula territoria faciunt stare concordiam. Sie haben die öffentliche Zucht und Moral aufrecht zu erhalten, Dig. L 4, 18, 7: irenarchae, qui disciplinae publicae et corrigendis moribus praeficiuntur. Vor allem aber lag ihnen die Fahndungspolizei ob; sie hatten nach Dieben und Räubern zu fahnden und sie zu verhaften (Cod. Iust. a. a. O.). Hatten sie eine Verhaftung vollzogen, so mußten sie den Arrestanten verhören, und nach allfälligen Mitschuldigen suchen. Das Ergebnis der Untersuchung wurde vom E. protokolliert und in einem versiegelten Schreiben an die Gemeindebehörden gesandt unter Vorführung oder Vorfahrenlassen des Delinquenten. Im 3. Jhdt. finden wir auch Vorführung vor den Statthalter statt vor die Munizipalbehörden. Hier wurde das Verhör wiederholt in Gegenwart des E., wobei dieser aufgefordert wurde, die Anklage persönlich zu vertreten. War sie ungenau, so erhielt er einen Verweis oder empfindliche Strafe. Auf diese Weise suchte man für die Sicherheit der Provinz zu sorgen und gleichzeitig eine Garantie gegen Mißbräuche und Übergriffe der Polizei zu schaffen. Nach dem Berichte des Juristen Marcianus, Dig. XLVIII 3, 6, war es der spätere Kaiser Antoninus Pius, der während seiner Statthalterschaft in Asien (um 130 n. Chr.) die Organisation neu regelte und die Funktionen der E. genauer umschrieb. Zur Ausübung ihrer Funktionen, die durchaus polizeilicher, nicht richterlicher und noch viel weniger, wie man früher meinte, friedensrichterlicher Natur waren, hatten sie die bereits o. Z. 13 erwähnten διωγμῖται als Exekutivsoldaten, die wohl oft Sklaven waren (Mommsen Röm. Strafr. 308), berittene Polizeisoldaten in sehr primitiver Bewaffnung (s. Fiebiger o. Bd. V S. 784; daß sie beritten waren, beweist gegen Hirschfelds Annahme v. Domaszewski a. a. O.). Als den E. unterstellte Polizeisoldaten erscheinen die διωγμῖται, [422] die als Einrichtung schon in den hellenistischen Reichen vorkamen, bereits unter Antoninus Pius (Martyr. Polycarp. c. 6–7).

Es ist nicht nötig, sämtliche kleinasiatischen Inschriften, in denen εἰ. erwähnt sind, aufzuzählen. Die bis 1880 bekannt gewordenen verzeichnet R. Cagnat De municipalibus et provincialibus militiis in imperio Romano (Paris 1880) 25–33; die bis 1900 hinzugekommenen hat er nachgetragen im Art. Irenarcha in Daremberg Dict. d. Antiq. III 573, 9ff.; vgl. auch die Nachträge von Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1891, 869, 121 = Kl. Schr. 602, 3. Weitere Nachträge bei Liebenam Städteverwaltung im römischen Kaiserreiche 358, 2. Darnach sind εἰ. nachgewiesen in folgenden kleinasiatischen Provinzen und Städten: Galatia: Ancyra, Pessinus, Mysia: Pergamon, Hadrianoi, Miletopolis. Lydia: Erythrai, Thyatira, Smyrna. Caria: Attaleia, Aphrodisias, Milet, Nysa, Pogla, Sebastopolis, Tralles. Phrygia: Kolonai Aizanoi, Eumeneia, Apameia, Akmonia. Pamphylia: Attaleia, Perge. Cilicia: Syedra, Tarsos. Pisidia: Termessos. Palaestina: Elusa, hier aber erst im 4. Jhdt. n. Chr. nach Liban. epist. 100, 101 (Hirschfeld 874 = Kl. Schr. 608) und in Gaza (Vita Porphyr. 3, Acta SS. Febr. ITI 649). Die einzigen Beispiele außerhalb Kleinasiens sind der εἰ]ρηνάρχης der Inschrift aus Serdica (jetzt Sofia) in Thracia, Arch.-epigr. Mitt. XVΙΙΙ (l895) 111 n. 16 und die εἰρηναρχία in der großen Iobakchen-Inschrift aus Athen (kurz vor 178 n. Chr.), Dittenberger Syll.² 737, 134. Über die Häufigkeit des Vorkommens der εἰ. in Karien, ihr Fehlen in Lykien und vor allem in Ephesos, dem Sitz des Statthalters, der seine besondere Polizei und Militär zu seiner Verfügung hatte, s. Hirschfeld 869, 121 (= Kl. Schr. 602, 3). Möglich ist auch, daß das Fehlen von εἰ. in einzelnen Städten — nur diese hatten εἰ. zu stellen — sich dadurch erklärt, daß ihre Funktionen ein anderer Polizeibeamter ausübt. So ist möglicherweise der in Dorylaion (Dittenberger Or. Gr. 476, 8) vorkommende ἀρχιπαραφύλαξ mit dem εἰρηνάρχης identisch oder doch wesensverwandt; s. Dittenberger Or. Gr. 550, 2. Eine sichere Entscheidung läßt sich nicht treffen, so lange nicht sicher datierte oder datierbare Inschriften die Belege liefern.

Die E. bestand auch noch nach Diocletian und Constantin weiter, wie mehrere Stellen des Cod. Theod. und des Cod. Iust. bei Hirschfeld 847f. (= Kl. Schr. 608, 3) und bei Cagnat Art. ||Irenarcha|| Anm. 32. 33 beweisen. Ein Gesetz des Honorius und Theodosios I. vom J. 409 (Cod. Theod. XTI 14, 1) hob das Amt auf und beauftragte den Praefectus praetorio Orientis, die Aufrechterhaltung des Friedens an locupletiores zu übertragen. Trotzdem finden wir E. noch in den ersten Dezennien des 5. Jhdts. im östlichen Reiche, freilich in wesentlich veränderten Funktionen (Hirschfeld 874f. Liebenam Städteverwalt. 358, 3).

Literatur: Die ältere verzeichnet Cagnat Diss. (Paris 1880) 25, 1. Hirschfeld 1891, 869, 1 fügt bei Mommsen R.G. V 324 und die von den Frühern übersehene treffliche Monographie von Chr. Gottl. Schwarz De irenarchia (Altorf 1743), wieder abgedruckt in seinen Exercitationes academicae ed. Harles, Nürnberg 1783, 234ff. Aus [423] neuerer Zeit vgl. R. Cagnat De municipalibus et provincialibus militiis in imperio Romano (Paris 1880) 25ff.; ders. Art. Irenarcha in Daremberg Dict. d. Antiq. III 572f. I. Lévy Rev. d. ét gr. XII (1899) 282. O. Hirschfeld Die Sicherheitspolizei im römischen Kaiserreich, S.-Ber. Akad. Berl. 1891, 868ff.; Die ägyptische Polizei der römischen Kaiserzeit nach Papyrusurkunden, ebd. 1892, 815ff. Fr. Preisigke Städtisches Beamtenwesen im röm. Ägypten (Diss. Halle 1903) 21. 24, W. Liebenam Städteverwalt. im röm. Kaiserreiche (Leipzig 1900) 358. G. Cardinali Il regno di Pergamo (1906) 270. V. Chapoe La province romaine proconsulaire d’Asie mineurt (1904) 259f. P. Jouguet La vie municipale dans l’Egypte romaine (1911) 261ff. Lübkers Reallex.8 unter Polizei S. 828.

Nachträge und Berichtigungen

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
fertig  
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Band R (1980) S. 103
Bildergalerie im Original
Register R Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|R|103||Εἰρηνάρχαι|[[REAutor]]|RE:Εἰρηνάρχαι}}        
[Abschnitt korrekturlesen]

Eirenarchai

Die kleinasiat. und aegypt. Polizeioffiziere in der röm. Kaiserzeit. S III.