Gérard, der berühmte Löwentödter
[112] Gérard, der berühmte Löwentödter, giebt – für Liebhaber – folgende höchst drastische Anleitung zur Löwenjagd:
„Mit Sonnenuntergang,“ sagt er, „mache man sich auf, setze sich auf einen den Schlupfwinkel des Löwen beherrschenden Felsen und warte. Beim ersten Gebrüll des Löwen merke man genau auf, um die von ihm eingeschlagene Richtung in Erfahrung zu bringen. Nähert er sich, so bedarf es von Seiten des Jägers nur einiger Schritte, entfernt er sich aber, so muß man, kann man ihm anders auf Nebenpfaden den Weg nicht abschneiden, ihm auflauern, wenn er zurückkommt. Sobald er seine Nacht durchgemacht hat, kommt er sicher zurück. Der Löwe mag beim Verlassen seiner Höhle jenen raschen Gang gehen, der ihm erlaubt, in kurzer Zeit, ohne zu ermüden, eine große Strecke Weges zurückzulegen, oder nach durchwachter Nacht, das mächtige Haupt hin und her wiegend, langsam seines Weges kommen – sobald er auf seinem Wege den Jäger erblickt, bleibt er stehen. Bleibt man nun selbst ruhig sitzen, so nähert er sich langsam, um von Zeit zu Zeit wiederum stehen zu bleiben und nach Art der Stiere zu paradiren. Nicht lange, und er brüllt und stößt solche diabolische Seufzer aus, daß man davon taub zu werden fürchtet. Man verliere ihn keine Secunde aus den Augen und beobachte genau jeden seiner Blicke. Verläßt er den Pfad und nähert sich einem benachbarten Baume, um seine Tatzen daran zu wetzen, so halte man sich bereit.
Da kommt er zurück – Vorsicht und kaltes Blut! Die geringste Uebereilung würde dem Jäger unfehlbar das Leben kosten. Der Löwe sieht dessen Waffen und keine seiner Bewegungen entgeht ihm. Erst nach dem ersten Schuß greift er an. Nimmt man ihn auf’s Korn, so legt er sich platt auf die Erde, wie eine Katze. In dieser Stellung bietet er dem Rohr des Jägers nur den Obertheil des Kopfes als Zielfläche dar, und wie gering auch der Abstand von letzterem sein mag, so wollte ich nicht rathen, alsdann auf ihn zu schießen. Ohne das Gewehr von der Schulter zu nehmen, noch die Augen vom Löwen abzuwenden, entferne man sich einige Schritte rechts oder links vom Pfade, je nachdem das Mondlicht den Löwen vortheilhaft beleuchtet. Geht man zu sehr im Bogen, so meint er, man wolle ihm eins auf den Pelz brennen, und wälzt sich, dem Jäger immer die Stirn bietend, auf dem Bauche herum. Man mache blos zwei oder drei Schritte, und sobald man nur einigermaßen gerade des Thieres Schläfe vor sich hat, ziele man genau nach der Stelle zwischen Auge und Ohr und drücke los.
Von zwei Dingen eines: entweder der Löwe ist von der Kugel augenblicklich todt hingestreckt worden, oder man liegt, noch ehe man sich von der Wirkung des Schusses hat überzeugen können, auf dem Rücken unter dem Bauche des Löwen, der den Jäger mit seinem Leibe bedeckt und ihn mit seinen furchtbaren Tatzen umstrickt hält. Allein man ist deshalb noch nicht verloren. Traf die Kugel glücklich ihr Ziel und brachte sie kein Hinderniß aus der geraden Richtung, so kommt man mit einem Dutzend Tatzenhieben, von denen man sich erholen kann, davon, und vorausgesetzt, daß der Rachen des Löwen nicht in’s Spiel kommt und sein Todeskampf nicht länger als einige Secunden dauert, so kann man mit einem blauen Auge entwischen. Auf jeden Fall vergesse man nicht, daß man ein Dolchmesser an der Seite hat, und hat man es im Fallen nicht verloren, so fasse man es fest und treffe gut und sicher. Blieb der Löwe auf der Stelle todt, so kann man Gott danken und dem heiligen Hubertus, und das Spiel von Neuem beginnen. Einen kleinen Wink noch: so oft man es mit einem völlig ausgewachsenen Löwen zu thun hat, zaudre man nicht zu lange.“
Die Instruction ist gewiß sehr genau und deutlich, ob sie aber schon Jemanden für die Löwenjagd begeistert hat, muß dahingestellt bleiben. Aber wenn auch! fügen wir hinzu, so gut wie der einer Menagerie entsprungene Jaguar noch immer die Grenzgegend von Pommern und Mecklenburg unsicher macht, ebensogut kann auch die Lüneburger Haide einmal durch einen entsprungenen Löwen zu saharahaften Löwenjagd-Abenteuern und somit zur Nutzanwendung der Gérard’schen Vorschrift Gelegenheit bieten, wie wenig Einladendes oder gar Begeisterndes dieselbe auch haben möge.