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„Drei Monate Fabrikarbeiter“

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Textdaten
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Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Drei Monate Fabrikarbeiter
Untertitel:
aus: Rudolf Lavant Gedichte
Herausgeber:
Auflage: 3. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1965
Verlag: Akademie Verlag
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 51–52
Kurzbeschreibung:
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[51]
„Drei Monate Fabrikarbeiter“


Bescheid wißt ihr seit vielen Jahren im Innersten von Afrika,
Und Menschenfresser und Barbaren, sie stehen greifbar vor uns da.
Wir kennen alle ihre Fürsten, als hätten wir sie selbst geschaut;
Sowohl ihr Glauben als ihr Dürsten sind uns geläufig und vertraut.

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Nachdem in ihrer Stämme Mitten der Forscher jahrelang geweilt,

Hat ihre Bräuche, ihre Sitten getreulich er uns mitgeteilt.
Seitdem zuerst man sie entdeckte, riß wieder ab nicht der Besuch;
Von jedem Negerdialekte hat man zur Zeit ein Wörterbuch.
Man weiß genau, wie sie zum Fechten gerüstet und gewaffnet stehn,

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Man weiß, wie sie die Haare flechten, wie sie den Bart in Zöpfe drehn;

Man weiß, wie Nase, Lipp’ und Ohren durch spitzer Instrumente Druck
Die Wilden kunstgerecht durchbohren für Feder- oder Muschelschmuck;
Man weiß, wie sie die Köpfe pressen, wie sie ihr Opfer bringen dar;
Ihr Wohnen, Rauchen, Schlafen, Essen, ja selbst ihr Beten sind uns klar,

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Und ihre Trommeln, Geigen, Flöten, all die Musik für Fest und Streit,

Beschrieb, als wäre dies vonnöten, man uns mit deutscher Gründlichkeit.
Mit ihren Schweinen, Ziegen, Hunden sind sie vertraut uns nur zu sehr:

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Es sagt von diesen schwarzen Kunden uns niemand etwas Neues mehr.

Ein Kandidat, den das Verlangen nach Wahrheit und nach Kenntnis trieb,

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Ist stracks in die Fabrik gegangen, wo er drei kurze Monde blieb.

Er hat dem theolog’schen Stande entsagt und jedem „bessern“ Brauch;
Er hat im rußigen Gewande geschuftet wie die andern auch.
Inmitten eines Walds von Essen, der himmelwärts in Chemnitz strebt,
Hat er geschlafen und gegessen als Arbeitsmann, kurz, so gelebt.

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Und als die Plack er satt bekommen und der Erkenntnis Frucht gereift,

Hat er den Wanderstab genommen und seinen Kittel abgestreift;
Er schlüpfte mit Behagen wieder in einen Rock von gutem Tuch
Und setzte sich dann friedlich nieder und schrieb ein ziemlich dickes Buch,
Ein Buch, in dem in Einzelbildern, mit denen es uns reich beschenkt,

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Er sich bestrebt, die Welt zu schildern, wie man „da drunten“ fühlt und denkt.

Das Buch schlug ein; es ward verschlungen und ging sogar von Hand zu Hand,
Denn anders hat das doch geklungen, als was im Wochenblättchen stand.
Man war verblüfft; nicht abzuweisen war ja, woran man nie gedacht,
Der Vorwurf, daß Entdeckungsreisen man jetzt im eignen Volke macht.

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Ihr kennt die Schwarzen, die sich weiden am grellen Glanz des Tropenlichts –

Vom eignen Volk und seinen Leiden, von seinem Leben wißt ihr nichts!

Anmerkungen (Wikisource)

Das Gedicht bezieht sich auf das Buch Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche von Paul Göhre, Leipzig 1891 (Ausgabe Leipzig 1906 UB Frankfurt/M.). Paul Göhre (1864–1928) studierte Theologie, war dann Pfarrgehilfe. Nach der dreimonatigen Fabrikarbeit in Chemnitz (1890) als Sekretär des Evangelisch-Sozialen Kongresses, dann als Pastor einer Arbeitergemeinde tätig, wurde er 1900 Sozialdemokrat, gab aber seine religiösen Auffassungen nie auf und ging bald in das Lager der rechten Sozialdemokratie über. Besondere Verdienste erwarb er sich als Herausgeber proletarischer Autobiographien (Karl Fischer, William Bromme, Wenzel Holek, Franz Rehbein).

Das Gedicht ist ebenfalls abgedruckt in:

  • Der Wahre Jacob, Nr. 132 (1891), S. 1071