Das Kaiser Wilhelm-Denkmal auf dem Kyffhäuser (Die Gartenlaube 1892/5)
Im Herzen Deutschlands gelegen, in einem der gesegnetsten Theile des Vaterlandes, erhebt sich der Kyffhäufer am Südrand der „Goldenen Aue“, wo sich Thüringer- und Sachsenland scheiden.
Hier, wo die Volkssage Kaiser Barbarossa seinen Schlummer halten ließ, von einem Jahrhundert zum anderen, bis die Raben der Zwietracht nicht mehr um den Berg flattern würden, hier soll ein Denk- und Dankmal dem erstehen, welcher den Hader aus den Herzen der deutschen Stämme tilgte und siegend ein neues einiges Deutsches Reich schuf, den alten Traum von „Kaiser und Reich“ zu ruhmvoller Erfüllung führend. Mag für ein Nationaldenkmal, das dem ersten deutschen Kaiser die ganze Nation zu errichten unternimmt, die deutsche Reichshauptstadt immerhin der einzig berechtigte Platz sein; für ein Erinnerungsmal, welches die deutschen Krieger ihrem siegreichen Kaiser widmen wollen, hätte, außer vielleicht am Rheine, nicht wohl ein bedeutungsvollerer Standort gefunden werden können als der sagenumwobene Berg.
Auf seiner Kuppe wird es sich erheben. Von einem breiten Unterbau, der in einer Mittelnische die Barbarossafigur von Nikolas Geiger trägt, führen rechts und links Stufen hinauf zu einem thurmartigen Oberbau, dem eigentlichen Denkmalsträger. In einer Nische dieses Oberbaus auf vorspringendem Pfeiler soll das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms stehen. Dieser geniale architektonische Entwurf rührt vom Baumeister Bruno Schmitz in Berlin her; ihm sollte sich der Bildhauer, der die Reiterfigur des Kaisers zu gestalten hatte, anschmiegen. Es ist dem Bildhauer E. Hundrieser in Charlottenburg, dem der erste Preis für seinen Denkmalsentwurf mit dem Motto „Kaiser und Reich“ zuerkannt wurde, gelungen, ein Standbild zu schaffen, das sich bei aller Selbständigkeit der bildhauerischen Auffassung und Ausführung doch mit dem architektonischen Bau in einer so selbstverständlichen, zwanglosen Art vereinigt wie kaum einer der übrigen vierzig Entwürfe, die mit ihm um den Preis rangen.
Der Kaiser, wie in langsamem Schritte dahinreitend, in Generalsuniform, mit wallendem Reitermantel, den Feldherrnstab in der Rechten, ist in jener schlichten Haltung dargestellt, in der er in unserer Erinnerung nun einmal lebt. Mit leicht verständlicher Symbolik sind die beiden Nebenfiguren entworfen. Eine weibliche Figur zur Rechten des Kaisers mag etwa die Geschichte darstellen; soeben hat sie in eine Steintafel die Worte „Sedan–Paris“ gegraben und schaut nun in stiller Verzückung zum Kaiser empor. Die männliche Figur, die links vom Kaiser (rechts für den Beschauer) zu dessen Füßen sitzt, ist ein mit germanischem Flügelhelm, Rundschild und breitem Schwerte gewappneter bärtiger Krieger mit finster entschlossenem Gesichtsausdruck, die verkörperte Kraft und zugleich der verkörperte Wille, die Feinde abzuwehren vom neugegründeten Reiche.
Noch einen zweiten Entwurf hat Hundrieser gefertigt, den er zugleich mit seinem ersten einsandte; aber da er dasselbe Motto trug wie jener – was eine Verletzung der Konkurrenzbedingungen war – so durfte er bei der Preisertheilung überhaupt nicht in Frage kommen. In mancher Hinsicht scheint diese zweite Auffassung noch bedeutender, jedenfalls malerischer und prächtiger zu sein als die erste. In vollem Herrscherornat, die Krone auf dem Haupte, reitet der Kaiser. Eine wundervolle weibliche Figur, die Reichsinsignien, Scepter und Reichsapfel, tragend, führt am Zügel das Roß, das tief gesenkten Hauptes, wie trauernd, daher schreitet. Die weibliche Nebenfigur zur Rechten ist über ihre Tafel gebeugt, sie ist halb verhüllt. Eine wehmüthige Stimmung lagert über der ganzen Gruppe, in der nur das Auge des Kaisers leuchtet, das kaum noch der Erde angehört. Es ist, als hätte der Künstler jene Stimmung darstellen wollen, die in Justinus Kerners bekanntem Gedicht von Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe uns mächtig ergreift:
„Glocken dürfen’s nicht verkünden,
Boten nicht zur Leiche bieten,
Alle Herzen längs des Rheins
Fühlen, daß der Held verschieden.“ –
Emil Hundrieser ist 1846 zu Königsberg i. Pr. geboren. Er ist ein Schüler Siemerings. Seit kurzem ist er Mitglied der Akademie der Künste. Mit vielem Glücke hat er sich bereits des öftern bei Wettbewerben betheiligt, und die meisten der größeren öffentlichen Bauten in Preußen haben einen Theil ihres bildnerischen Schmuckes von seiner Hand erhalten. So besitzt, um nur einige seiner größeren Arbeiten zu nennen, das Charlottenburger Polytechnikum von ihm die Standbilder Kaiser Wilhelms I. und Schlüters, das Borsigsche Palais in Berlin die Statuen von James Watt und Robert Stephenson, der Anhalter Bahnhof die von George Stephenson und von dem Minister Maaßen, dem Begründer des Zollvereins; in Straßburg stehen von ihm die vier Statuen von Bopp, Wolff, Jakob Grimm und Boeckh; Magdeburg hat sein Lutherdenkmal von ihm erhalten. Auch am neuen Reichstagsbau ist Hundrieser in hervorragender Weise beschäftigt. Eine sehr geschätzte Arbeit von ihm ist eine Königin Luise von ganz eigenartiger Auffassung, in sitzender Stellung; sie hat ihm die zweite goldene Medaille eingetragen und wird für die Berliner Nationalgalerie in Marmor ausgeführt.
Auf der vorjährigen internationalen Kunstausstellung in München wurde eine Grabgruppe von ihm viel bewundert und erhielt die erste goldene Medaille. Es sei noch erwähnt, daß Hundrieser zu denjenigen Künstlern gehört, die für das in Berlin zu errichtende Drei-Komponisten-Denkmal – Beethoven, Mozart, Haydn – zur engeren Konkurrenz aufgefordert worden sind.