ADB:Zedlitz-Nimmersatt, Joseph Christian Freiherr von
Schreyvogel’s Obhut und Beihilfe die Bühne mit „Turturell“ (1819), einem shakespearisierenden „tragischen Märchen“ voll Reminiscenzen an classische Dramen, dem 1823 die Tragödie „Zwei Nächte zu Valladolid“, wieder mosaikartig aus bekannten Motiven zusammengesetzt, doch wesentlich im Stil der Spanier gehalten und beifälliger aufgenommen, folgte. Die Dramatisirung der Abencerragensage[WS 1] in „Der Königin Ehre“ (1819) ist erst weit später vollständig dem großen Publicum vorgelegt (1834) und schweigend abgelehnt worden. Für die Gedichte dieser Periode ist der Mangel an Naturanschauung und an ihrer Statt der reichliche Verbrauch conventioneller Bilder und Phrasen charakteristisch. [743] Alle Versuche in Drama, Lyrik, Novelle („Graf Roger“ 1819) erwecken den Eindruck des Gemachten. Auch die Einzelschönheiten eines „poetischen“ Lustspiels „Liebe findet ihre Wege“ (1825) im spanischen Geschmack fanden nur in kleinem Kreise Anerkennung. Einen großen Erfolg erzielten erst die Canzonen der „Todtenkränze“ (1828), Ideendichtung in guter Schiller’scher Nachfolge mit ein paar Tropfen Byron tingirt, und die von Heine’schen Motiven stark beeinflußte, zum Theil forcirte, doch im ganzen packende Napoleonballade „Die nächtliche Heerschau“ (1829). Ueberhaupt machte sich jetzt Heine’s Einwirkung auf ihn nicht unvortheilhaft geltend: durch ihn gewann er einen volksthümlicheren Ton, lernte er Sentimentalität mit Humor verbinden, wagte er freiere Aussprache der Sinnlichkeit. Ein zweiter Canzonencyklus zu Gunsten der griechischen Sache („Das Kreuz in Hellas“ 1828) blieb unvollendet. Zwei Dramen aus dieser Zeit, die Neudichtung des Lope’schen „Stern von Sevilla“ (1829) und der Trochäenzweiacter „Herr und Sclave“ (1831) behandeln Ehrenprobleme, jenes wieder mehr im classischen Stil, dieses in Form und Auffassung spanisch. – Im Frühjahr 1830 reiste Z. über München, wo ihn König Ludwig I. festzuhalten suchte, nach Stuttgart, um Cotta, mit dem er seit 1828 in Verbindung stand, für den Verlag seiner Schriften zu gewinnen. Wirklich erschienen bei ihm 1832 die „Gedichte“, 1835/7 vier Theile „Dramatische Schriften“. Z. zeigt als Lyriker im ganzen mehr wahres Gefühl und mehr Anschauungskraft der Phantasie als mancher seiner Zeitgenossen, eine angemessenere und edlere Diction, häufig ist aber auch er über Allgemeinheit und Oberflächlichkeit der Gedanken, Ziererei und Spielerei in der Form nicht hinausgekommen. Ueber der Tassotragödie „Kerker und Krone“ (1834) liegt eine allzupeinlich-weinerliche Stimmung, und das Lustspiel „Cabinetsintriguen“ (1830?) im Kotzebue’schen Genre der Heirathsgeschichten läßt keine rechte Heiterkeit aufkommen. Weit besser lag seinem ausgesprochenen Formtalent eine Uebersetzung von Byron’s „Ritter Haralds Pilgerfahrt“ (1836). – Nachdem Z. bislang als liberaler Poet, neben Grillparzer der Hauptvertreter der neuösterreichischen Dichterschule, den maßgebenden Kreisen Wiens oppositionell gegenübergestanden war, trat er ihnen um 1834 näher; 1835 dachte man daran, ihm die Leitung des Burgtheaters zu übertragen; 1836 wurde er mit der Abfassung eines neuen Textes der Volkshymne auf Kaiser Ferdinand betraut. Nach dem Tod seiner Gemahlin (10. September 1836) war Z. wieder auf den unsicheren Ertrag seiner Schriftstellerei angewiesen. Freunde ermöglichten ihm 1837 eine Reise nach Paris, im Sommer 1838 nach Italien. Schon im Frühling dieses Jahres unterhandelte er mit Metternich und Sedlnitzky, die Allgemeine Zeitung zu Regierungszwecken zu gebrauchen. Jetzt trat er völlig in den Staatsdienst ein, um das System Metternich’s, dem er seit 1841 unmittelbar und allein unterstellt war, publicistisch, vor allem in der A. Z. zu vertreten. Zugleich war er fortan eine Art Gesandter und litterarischer Mittelsmann Cotta’s bei der Wiener Regierung und umgekehrt. Am 27. October 1838 erfolgte sein Debut in der A. Z., der er von da an fast bis zu seinem Tode ein eifriger Mitarbeiter geblieben ist; wirklich beherrscht, wie man wol gelegentlich behauptete, hat er jedoch das Blatt zu keiner Zeit. Unverändert blieb sein Standpunkt der eines überzeugten Parteigängers der jeweiligen Politik des österreichischen Kaiserstaats, eines begeisterten Sprechers für dessen geschichtliche Aufgabe, keineswegs in reactionärem Sinn, und wenn auch eifersüchtig und grollend, doch im allgemeinen nicht ohne Gerechtigkeit gegen den aufstrebenden, nach seiner Beobachtung schon damals um die Vormacht in Deutschland ringenden preußischen Staat. Seine Flugschriften „Ueber die orientalische Frage“ (1840), „Fromme Wünsche aus Ungarn“ und „Ueber den galizischen Aufstand“ (1846) galten schlechtweg als Offenbarungen des Wiener Cabinets. – Mit Metternich kam er [744] 1840 bis 1842 drei Mal an den Rhein, wo er in Köln mit der Familie Binzer eine bald immer inniger werdende Freundschaft schloß und die Bekanntschaft mit den rheinischen Poeten Freiligrath, Simrock, Kinkel, Immermann machte. Die vielen Reisen der letzten Jahre hatten sein Auge für das Sinnfällige geschärft; zeigt noch das Fragment „Die Wanderungen des Ahasverus“ (1839) die Byron’sche Sentimentalität fast gesteigert, so kommt in den Zusätzen zur zweiten und vierten Auflage seiner Gedichte (1839, 1847) das neue Moment der Sinnlichkeit desto deutlicher zu Tage. Denselben Geist athmet auch das Spessartmärchen „Waldfräulein“ (1843), Zedlitz’ beste Leistung, während von den „Altnordischen Bildern“ (1849) nur die humorvolle Bearbeitung der dänischen Kämpenweise „Svend Felding“ gelobt werden kann, hiegegen die grausige Blutrachegeschichte „Ingvelde Schönwang“ geradezu abstößt. – Dem fascinirenden Eindruck Metternichs entging Z. so wenig als einer; trotzdem erkannte er auch die schwachen Seiten des Systems. Schon Anfang 1847 ahnte er den Zusammenbruch. Aber unmittelbar nach den Märztagen ist er noch voll froher Hoffnungen, erst die Maierhebung zerstört jede Illusion. Wie allen Altösterreichern schien damals auch ihm Zusammenhalt nur mehr in der Armee gelegen zu sein. Grillparzer’s Ruf an „Feldmarschall Radetzky“, die ersten Erfolge in Italien erfüllen ihn mit Enthusiasmus und machen ihn zum Rhapsoden dieser Heldenthaten. Sein „Soldatenbüchlein“ (1849) ist eine bunte, lebendige Reimchronik des 48er Feldzuges. Das zweite Heft „dem österreichischen Heer in Ungarn gewidmet“, läßt schon die Trauer über den verderblichen Bruderkampf widerklingen. – Bis 1851 blieb Z. in Oberösterreich, wo er seit 1847 gemeinschaftlich mit Binzer im Sommer (in Aussee) zu hausen pflegte. Dann wurde er von Schwarzenberg nach Wien berufen, auch die gestörte Verbindung mit der A. Z. wieder aufgenommen. Geschäftsträger mehrerer kleiner deutscher Höfe bleibt für ihn die actuelle Politik im Mittelpunkt des Interesses, während die Neigung zu litterarischer Bethätigung allmählich völlig verlischt. Früh und schwer trägt er an der Last des Alters. So wird seine Reise nach Stuttgart gelegentlich des großen Schillerfestes 1859 zugleich auch Abschied von Cotta und seinen Redactionsfreunden. Wenig später ist er gestorben (in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1862). – Sicher ist Z. kein classischer Dichter, kein überragender Politiker; aber ebenso sicher darf er als ein lauterer Charakter, als ein warmherziger Patriot bezeichnet werden: mit allen seinen Fehlern und Vorzügen ein echter, rechter Altösterreicher.
Zedlitz: Philipp Gotthard Josef Christian Karl Anton Freiherr von Z.-Nimmersatt wurde am 28. Februar 1790 auf Schloß Johannesberg in Oesterr.-Schlesien geboren. Nach dem frühen Tode seines Vaters hatte der Vermögenslose nur zwischen dem geistlichen Stande und der militärischen Laufbahn zu wählen. Man entschied sich vorerst für jenen. Da es aber mit dem Studium nicht ging, trat er 1806 in das Husarenregiment Este (jetzt Nr. 3) ein, machte den Feldzug von 1809 rühmlich als Oberlieutenant mit, nahm aber 1811 seinen Abschied. Eine im selben Jahr abgeschlossene Ehe mit Ernestine v. Lipthai, welcher Besitzungen im Banat als Heirathsgut zufielen, sicherte ihm eine unabhängige Stellung. – Schon als Knabe mit Vers und Reim vertraut, scheinen ihn um 1810 litterarische Neigungen tiefer ergriffen zu haben. Jetzt betrat er unter- Wurzbach 59, 249 und Castle im „Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft“ VIII (1898) mit ausführlichen Litteraturnachweisungen. – Vgl. noch: L. Fränkel, „Ein vergessener Hundertjähriger“ in „Deutsche Post“ 1890, März.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Abencerragen, ein edles maurisches Geschlecht in Granada, das im 8. Jahrhundert nach Spanien kam