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ADB:Brouwer, Adriaen

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Artikel „Brouwer, Adriaen“ von Wilhelm Schmidt (Kunsthistoriker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 366–368, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brouwer,_Adriaen&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:39 Uhr UTC)
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Brouwer: Adriaen B., berühmter niederländischer Maler, eine Zierde seines Vaterlandes. Freilich war bis jetzt das Vaterland des Künstlers streitig, und mit verschwindenden, kaum in Betracht kommenden Ausnahmen betrachtete man nach Houbraken’s „Schouburgh der Hollandsche en Vlaamsche Kunstschilders“ Haarlem als seine Heimath und das Jahr 1608 als seine Geburtszeit. Wir suchten in unserer Broschüre über den Meister indessen die in Ostflandern liegende belgische Stadt Audenaarde als seine Wiege und das Jahr 1605, eventuell 1606, als sein wahrscheinliches Geburtsjahr hinzustellen. Auf seinem bei M. van den Enden erschienenen Porträt ist B. als „natione flander“ bezeichnet und Bullart nennt ausdrücklich Audenaarde seinen Geburtsort. Der Vater war vermuthlich der Maler de Brauwere, der Vorlagen für die in Flandern blühenden Gobelinmanufacturen malte, aber im Bankerotte starb. Die Vormünder seiner Kinder verzichteten auf die Hinterlassenschaft; der junge Adriaen, erst 16 Jahr alt, hatte sich bereits aus dem väterlichen Hause entfernt, ohne daß man seinen Aufenthaltsort wußte. Es ist sehr zu bedauern, daß die betreffende Urkunde in den Stürmen der französischen Revolution verloren gegangen zu sein scheint, und man sich nur auf die obige Notiz des Gelehrten H. Raepsaet angewiesen sieht; man kennt nicht einmal das Jahr der Urkunde. Wo sich der junge Malergesell damals aufhielt, ist nicht erforscht, man wird wol annehmen dürfen, daß er den elementaren Unterricht von seinem Vater erhalten und dann in eine der großen Städte der südlichen Niederlande gegangen sei, um sich weiter auszubilden. Vielleicht befand er sich in dem großen Gefolge des Rubens, der damals alles in seine Bahnen zog, vielleicht hielt er sich auch zu Brüssel auf, wo der jüngere Peter Brueghel eine Kunstweise cultivirte, an die sich die von B. direct anschließt. Wie dem aber auch sein mag, so viel ist gewiß, daß die Erzählungen Houbraken’s von seiner Lehrlingschaft bei Frans Hals in Haarlem und seinen Streichen daselbst bloß dem Bedürfnisse, seinen Lesern eine picante Lectüre zu bieten, entsprangen. Daß B. Holland besucht hat, ist allerdings wahrscheinlich, aber er scheint dies erst in spätern Jahren, etwa um 1630 gethan zu haben. Man erzählt darüber, daß er, auf einer Seereise begriffen, von Seeräubern ausgeplündert wurde und sich auf den holländischen Strand rettete. Seine Kunst half ihm hier wieder auf die Beine. Ende 1631 oder höchstens Anfangs 1632 ließ er sich in die Antwerpener St. Lucasgilde einschreiben, damals wird Anton van Dyck, der sich Ende März 1632 nach England begab, sein Bildniß für die Porträtsammlung des Gillis Hendricx gefertigt haben; der große Kupferstecher Schelte van Bolswert stach dasselbe. B. zeigt darin das Bild der frischesten Jugend. Lange Locken fallen ihm auf die Schultern, ein keck emporgedrehter Schnauzbart, ein feuriger Blick zeigen uns den genialen, stürmischen Meister. Zu jener Zeit empfing Adriaen auch einen gewissen Jan Baptist d’Andois oder Dandoy als Schüler; es ist dies der einzige Lehrling, der von ihm sich im Malerbuche eingeschrieben findet. Schüler im weiteren Sinne hat er freilich eine Menge gehabt. Die Brabanter Genremaler, voran Teniers und der derb-humoristische Joos van Craesbeck, der auf Brouwer’s Anweisung den Backofen mit der Palette vertauscht zu haben scheint, sind von ihm inspirirt, weniger natürlich die Holländer, obwol sein Einfluß auch hier merkbar ist. B. hatte übrigens auch Sinn für Dichtkunst: er ließ sich im Gildejahr 1634–35 in die Rhetorikerskammer „De Violiere“, die zu der St. Lucasgilde gehörte, aufnehmen [367] und entrichtete zwei Jahre lang (bis zum 18. Sept. 1637) seine Beiträge; die Geschichte war ihm auf 38 Gulden gekommen. Seine Tage waren aber bereits gezählt, und am 1. Februar 1638 erhielt er ein Begräbniß (zu 18 Stübern!!) im Kirchhofe der Karmeliter. Seine Verehrer legten sich aber ins Werk: man entnahm seinen Leichnam dem schlechten Grabe und wies ihm ein ehrenvolleres in der Kirche der Karmeliter selbst an. Unser lebenslustiger Maler hatte übrigens Schulden hinterlassen; ein Jan Dandoy, vielleicht der genannte Schüler, beeilte sich am 19. Februar des Jahres auf die Hinterlassenschaft Beschlag zu legen. Dieselbe mag freilich im Mobiliar erbärmlich genug gewesen sein, da nach Bullart selbst noch mildthätige Personen die Kosten seines Leichenbegängnisses bestreiten mußten, und Sandrart nach C. de Bie’s Gulden Cabinet dichtet:

Nach seinem Tod sah man Niemand Um Brauer’s Gut krakelen,
Denn nichts als Penßlen man hier fand, Anstatt Golds und Jubeelen;
Ein brochner Esel und Balett War härtlich noch vorhanden,
Sonst nirgends er was übrigs hätt, Das für was Guts bestanden.

Wir sehen, daß hier von dem Pestkirchhofe nicht die Rede ist, in dem er nach Houbraken’s Novelle versenkt worden sein soll. Aus dem Mitgetheilten wird man ersehen haben, daß B. ein verschwenderischer Patron gewesen, der sich um Geld und Geldeswerth nicht bekümmert hat, wie es auch de Bie ausdrücklich hervorgehoben. Ein unbefangenes, sorgloses Künstlergemüth, das nur in dem Heute lebt und sich um das Morgen wenig kümmert. Wir denken ihn gern im Kreise lustiger Brüder, tolle Streiche ausübend und dem Bacchus wol manchmal mehr als gut huldigend. Die Welt war dazumal eben weniger durch Conventionen eingeengt, weniger spießbürgerlich als heutzutage. Damit ist noch nicht ausgesprochen, daß er jenes lüderliche, besoffene Scheusal, jener weltunkundige Mensch gewesen, den uns Houbraken mit großem Behagen schildert. Ein Maler in Houbraken’s Sinne hätte unmöglich jene glanzvollen Bilder schaffen können, die tiefe Studien der Technik und der menschlichen Natur vorausssetzen. Begreiflich aber, wie man auf solche Schilderungen kam: man dachte ihn sich so, wie seine Figuren sich benehmen, man schuf sich aus seinen Bildern seine Lebensgeschichte. Dabei vergaß man aber, daß gerade die souveräne Meisterschaft seiner Schilderung, sein überlegener Humor, mit dem er die ordinären Gestalten zeichnet, beweisen, wie sehr er über ihnen stand. B. hat, mit wenigen Ausnahmen, das Leben der niederen Schichten dargestellt. Unter den zahlreichen Concurrenten, die er in diesem Fache hat, ist er ohne Zweifel der bedeutendste – er ist ein Genie in des Wortes vollstem Sinne. Seine stürmische, dramatische Bewegung, seine packende Compositionsweise macht ihn dem Fürsten der Brabanter Malerei congenial, und man darf ihn mit Fug den Rubens der Bauernmaler nennen. Wo er sich an bedeutsamere, idealistischere Gegenstände wagt, da wurde er klein, und der ordinäre Genremaler blickt heraus, wo er aber in seiner Sphäre blieb, da ist er einzig. Niemand hat so wie er das Täppische, Lustige des damaligen Bauernlebens, das doch wieder gleich mit dem Prügel und dem Messer bei der Hand war, belauscht. Das Augenblickliche seiner Handlungen ist ganz unvergleichlich. Selbstverständlich, daß er sich dabei auch die Rubens’sche leichte flotte Technik in vollstem Maße aneignete, und von der verhältnißmäßigen Härte, Buntheit und sorglicheren Ausführung seiner früheren Bilder ging er zu einer zarten, bald goldig, bald braun, bald silbern gestimmten Harmonie, zu duftiger Weiche, zu einem unnachahmlichen Sfumato über. Seine volle Größe wird ganz besonders im Vergleich zu dem jüngern D. Teniers sichtbar; Teniers, gewiß ein bedeutender Maler, geht von dem gleichen Principe, der gleichen malerischen Behandlung aus, aber um wie viel härter, wie viel gebundener [368] ist er! Der Hauptschatz der Bilder Adriaens, die bei seinem kurzen Leben natürlich selten sind, befindet sich in München und dem nahe gelegenen Schleißheim; was sind das für Meisterwerke, die kartenspielenden Bauern, die würfelnden Soldaten, die Schlägerei, die in augenblicklicher Erregtheit und mannigfaltiger Charakterzeichnung einzig dasteht, der wunderbare Chirurgus, der dem Bauer das Pflaster vom Arm nimmt, der Gesang in der Bauernstube, den namentlich ein grüngekleideter Kerl zu einem ohrenzerreißenden gestaltet etc. Wie diese Menschen, die trotz aller scharfen Charakteristik doch nie übertriebene Carikaturen bilden, sich so natürlich gehaben, wie ihnen ihre oft so groteske Kopfbedeckung und die Kleider sitzen, es ist ganz wunderbar. Vortreffliche Bilder finden sich auch in der Eremitage von St. Petersburg, in Kassel, Madrid, dem Louvre u. a. O., und namentlich ergötzlich ist der gehorsame Ehemann in Dresden, den seine Xanthippe mit der Ruthe anhält, das schmutzige Kind zu reinigen. – Es ist ziemlich viel nach B. gestochen worden; Manche schreiben ihm auch die Radirungen verschiedener Halbfiguren zu.

W. Schmidt, Das Leben des Malers A. Brouwer. Kritische Beleuchtung der über ihn verbreiteten Sagen. Leipzig, Engelmann. 1873.